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- Unterhauthaare
Das »Fotze!«-Dilemma auf dem Hermannplatz
Was kontert man eigentlich auf die mieseste aller sexistischen Beschimpfungen?
Die Sonne scheint uns golden ins Gesicht, doch wir fühlen uns wenig romantisch. Um uns herum pumpt Berlin Autos, Menschen, Mopeds, Fahrräder, Kinderwagen über die Kreuzung. Mit Rhythmusstörungen. Gequetsche, Gehupe, Gepöbele ohne Takt. Meine Freundin und ich schieben unsere Fahrräder über den Berliner Hermannplatz.
Als uns der Typ auf dem Bürgersteig entgegen kommt, quetschen wir uns noch ein Stückchen weiter an die Seite. Soweit es eben geht. Neben uns die Gitter der U7, zwischen uns mein Rad, spitze Pedalen geraten gefährlich nah an meine Knöchel. Gute zwei Meter hat der Mann zum Ausweichen neben sich. Mindestens. Doch etwas in ihm sagt ihm, dass er sie nicht nutzen will.
Unterhauthaare sind das, was nicht sein darf. Sie jucken, kratzen, pieksen und sind überaus hässlich. Borstig. Dreckig. Peinlich. Weil die Gesellschaft etwas ganz anderes von Frauen erwartet: Glatt zu sein. Geschmeidig. Und rein. In dieser Serie erscheinen feministische Kurzgeschichten und Kolumnen über das, was unter der Haut wächst. Garstiger Widerstand gegen die sexistische Oberfläche: gegen den Überhautdreck.
Alle Artikel dieser Serie finden Sie unter: dasND.de/unterhauthaare
Ein Ruck geht durch seinen Körper. Sein Gesicht formt sich zur Kampfvisage. Er senkt den Kopf. Beschleunigt. Spannt seinen Oberkörper an. Breitet die Schultern aus. Keinen Zentimeter wird er weichen. Nehmen den ganzen Bürgersteig ein, kann ich ihn innerlich fluchen sehen. Quatschen dumm herum. Keinen Schritt. Er schwitzt seinen Frauenhass aus, ich kann ihn riechen. Und dann passiert es. Seine Schulter kracht gegen meine, reißt mich nach hinten. Ich taumele, fange mich wieder, drehe mich um. Der Mann stampft weiter. »Oh nein, diesmal nicht!«, denke ich. Nicht schon wieder. Diesmal lasse ich mir den Raum nicht nehmen. Diesmal nicht. Mir reicht's.
»Ey! Was soll das?«, brülle ich ihm hinterher. Der Typ schnellt herum. Darauf hat er nur gewartet. »Du scheiß Fotze! Den ganzen Bürgersteig nimmst du dir hier! Verpiss dich!« Gänsehaut und der Wunsch, die Beine zu schließen. Ab-zu-riegeln. Ich weiß nicht genau, warum, aber »Fotze« macht mich wahnsinnig. Ich spüre meine Vagina mit einem Stich. Ihre Verletzlichkeit. Fühle, wie ich vor diesem Typen nur noch aus ihr bestehe, aus nichts anderem. Fühle, wie er durchaus bereit ist, sie sich anzueignen. Wie er meint, ein Anrecht darauf zu haben. Auf meine Fotze. Erster Impuls: Wegrennen. Ich reiße mich zusammen. Nein, diesmal nicht! Mir reicht's. Soll dieser Typ mal selbst spüren, wie das ist. Wenn ich eine Fotze bin, was ist er denn dann?
Er also: »Du scheiß Fotze!«, und ich: »Hast du ein Problem, du dreckiger Schwanz?« Check. Doch mein Stolz hat keine Zeit, meine Brust anschwellen zu lassen. »Wie nennst du mich, du SCHEIß FOTZE?« Er presst seine dicke Wampe bereits gegen meinen Bauch. Bäumt sich vor mir auf. Wenige Zentimeter vor meinem Gesicht brennen seine Augen lichterloh.
Aus irgendwelchen Gründen hat sich mein Unterarm in der Zwischenzeit quer gegen seine Brust gedrückt. So kann ich ihn ein paar Zentimeter von meiner Nase fernhalten. Grenzüberschreitung, denke ich leise. »Du bist viel zu nah«, zische ich laut. »Geh sofort einen Meter zurück!« Er bewegt sich nicht. Mist, haut der mir jetzt eine rein? Wie prügelt man sich? In seinen Augen kann ich lesen, was er denkt: »Schlage ich zu?«
Ein Selbstverteidigungskurs wäre gut gewesen, denke ich, große Klappe, aber dann keine Ahnung, wie es weitergeht, typisch. Aber Moment mal, echt? Prügeln, um gefahrlos über den Hermannplatz laufen zu können? Vielleicht doch lieber einstecken und die Klappe halten, das nächste Mal?
»Ey!«, ruft da eine Frau, sie taucht plötzlich in meinem Augenwinkel auf, »ey, lass die Frau los, du Arschloch!«, sie zerrt an ihm. Ein Mann kommt ihr zögerlich zu Hilfe. »Komm ma runter, Alter!«, sagt er halblaut. Der Stier wendet seinen irren Blick nicht von mir. Ein paar Sekunden starrt er mich weiter an. Dann dreht er sich einfach weg. Dreht sich weg und trabt schnaufend seiner Wege.
Und ich? Bin nicht ausgewichen. Habe mich verteidigt. Meinen Raum, meinen Körper, mein Rad. Doch das Glücksgefühl will sich nicht einstellen. Noch immer kann ich sein dreckiges T-Shirt riechen. Noch immer spüre ich seinen Atem auf meinem Gesicht. Grenzüberschreitung. Ekel. Gänsehaut. Und überhaupt. Fotze, Schwanz, soll das jetzt immer so gehen?
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