- Politik
- Ost-Ghuta
Ein Sechseck, gefüllt mit Blut und Tod
In Syrien bilden sich neue Frontlinien - können die UN einen Waffenstillstand für Ost-Ghuta vermitteln?
Es gibt derzeit wohl keinen Kriegsschauplatz, der unübersichtlicher ist als der in Syrien. Kollegen von dpa haben versucht, das Geflecht in eine Grafik zu fassen. Herausgekommen ist ein Hexagon. Als Beteiligte genannt: die syrische Regierung, die von den Volksverteidigungseinheiten (YPG) vertretenen Kurden, syrische Rebellen sowie Russland, die USA und die Türkei.
Der Versuch, Übersicht zu erzeugen, ist ehrenwert. Doch reichen dazu sechs Ecken und Pfeile, die je nach Farbe ein Mit- oder ein Gegeneinander symbolisieren, nicht. Beispielsweise fehlen wesentliche beteiligte Parteien wie Iran - samt Hisbollah - und Israel. Auch die modifizierten saudischen Aktivitäten in Syrien sind schwer in das Sechseck zu zeichnen.
Ein aktueller Brennpunkt ist Ost-Ghuta. Die Region liegt nahe der Hauptstadt Damaskus. Seit dem Wochenende erleiden die dort ums Überleben kämpfenden annähernd 400 000 Menschen - bewaffnete Islamisten wie Zivilisten - eine der bislang blutigsten Angriffswellen seit Beginn des Bürgerkriegs 2011.
In den vergangenen drei Tagen kamen zumeist bei massiven Luftangriffen syrischer Regierungstruppen mindestens 270 Menschen ums Leben. 1200 weitere wurden verletzt, melden Agenturen und berufen sich auf »Aktivisten« und die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die fernab in London parteiisch gegen das Regime von Baschar al-Assad Meinungen produziert. Wer halbwegs ehrlich Opferzahlen benennen will, kann angesichts der Bilder nur von fürchterlich vielen Toten und Verwundeten sprechen. Der Vergleich mit dem Elend von Aleppo im Jahr 2016 ist gerechtfertigt.
Das Ghuta-Gebiet wird noch von dem radikal-salafistischen Bündnis Dschaisch al-Islam kontrolliert. Dahinter verbergen sich 43 Organisationen unter Führung der Terrormiliz Liwa al-Islam. Zuletzt geriet Ost-Ghuta 2013 in Schlagzeilen. Es ging um einen Chemiewaffenangriff. Die UNO wies den Einsatz von Sarin nach, das mit Raketen in die Stadt geschossen worden war. Im Herbst wurde Ost-Ghuta von Iran, Russland und der Türkei zu einer von vier Deeskalationszonen erklärt. Das Problem? An der Entscheidung waren weder die Regierung in Damaskus noch die mit ihr verfeindeten Rebellen beteiligt.
Warum eskaliert die Lage in Ost-Ghuta gerade jetzt, schließlich ist die Region seit Jahren unter der Kontrolle von Rebellen und bereits seit Monaten von Regierungstruppen eingeschlossen? Nach der weitgehend gelungenen militärischen Zerschlagung des Islamischen Staates (IS) entstanden mehrere Regionen mit Machtvakuum. Die verbliebenen Parteien versuchen, sich eine gute Ausgangsposition zu verschaffen, sollte es in naher Zukunft zu einem Waffenstillstand und substanziellen politischen Gesprächen über eine Nachkriegsordnung kommen. Es ist leicht nachvollziehbar, dass Assad vor seiner Hauptstadt »klare Verhältnisse« schaffen und Ost-Ghuta zurückerobern will. Die Bodenoffensive könne »jeden Moment beginnen«, schrieb die Damaszener Zeitung »Al-Watan« am Dienstag.
Moskau weist alle aktuellen Vorwürfe der USA und aus der UNO zurück. Weder Russland noch Iran beteiligten sich an den Kämpfen um Ost-Ghuta. Für 18 Uhr (Ortszeit) war am Donnerstag eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates zur dortigen Lage geplant. Ziel ist, so Nachrichten aus Moskau, einen Waffenstillstand zu vermitteln.
Bedrohlich ist die Situation auch im Norden Syriens. Dort geht die türkische Armee weiter gegen Stellungen der YPG vor. Noch vor kurzem waren deren Kämpfer die besten Fußtruppen der USA im Kampf gegen den IS. Ein Bündnis auf Zeit. Dass es nun noch zu einer direkten Konfrontation zwischen den NATO-Partnern Türkei und USA kommt, ist relativ unwahrscheinlich. Vor allem, weil Ankara wie Washington noch immer hoffen, das Assad-Regime beseitigen zu können, um Russland aus der Region zu drängen.
Vor ein paar Tagen rückten syrische Regierungstruppen zur - noch symbolischen - Unterstützung der Kurden in deren de facto autonomes Gebiet vor. Dass aus dem bisherigen Burgfrieden zwischen YPG und Assad nun eine Waffenbrüderschaft wird, ist unwahrscheinlich. Eher bilden sich neue, zusätzliche Fronten.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.