- Kommentare
- Pressefreiheit in der Türkei
Nicht alle haben so viel Glück wie Deniz Yücel
Der deutsche Journalist ist frei - und was ist mit den anderen Geiseln? Yücel Özdemir über die Unterdrückung der Pressefreiheit in der Türkei
Deniz Yücel ist dank Geheimdeals frei, an denen er selbst nicht beteiligt war. Die Verteidiger von Demokratie, Menschenrechten und Pressefreiheit in der Türkei sind froh darüber. Dabei hatte Erdoğan noch vor einem Monat große Töne gespuckt und die Freilassung Yücels in seiner Amtszeit kategorisch ausgeschlossen. Deshalb ist sie eine Niederlage für Erdoğan und ein großer Erfolg für all jene, die sich für Pressefreiheit und für Deniz Yücel eingesetzt haben. Zumindest gegenüber den Forderungen aus Deutschland scheint der türkische Staatspräsident an Macht verloren zu haben.
Die Schlagzeilen in deutschen Zeitungen widmeten sich am Tag danach diesem Thema. Und wie sah es bei den Zeitungen in der Türkei aus?
Als wären sie zentral gelenkt, berichteten sämtliche Erdoğan-treuen Zeitungen in ihren Headlines vom Treffen des türkischen Außenministers Mevlüt Çavuşoğlu mit seinem US-Amtskollegen Rex Tillerson. Für viele war die Freilassung Yücels keine Zeile auf der Titelseite wert.
Regierungstreue Blätter wie »Star«, »Milliyet« und »Yeni Şafak« hatten für ihre Berichte denselben Titel gewählt: »Deniz Yücel wird während des Prozesses nicht in U-Haft sitzen.« Sie betonten also, dass Deniz nicht freigesprochen und seine Unschuld nicht bewiesen sei. Der Prozess werde fortgesetzt. Die Frage, warum ein »Verbrecher« auf freiem Fuß ist und ausreisen darf, ließen sie unbeantwortet. Etwas anderes war von ihnen auch nicht zu erwarten. Schließlich waren sie es, die vor einem Jahr die Verhaftung eines »Terroristen« und »deutschen Agenten« bejubelt hatten.
Erdoğans Berater, der AKP-Abgeordnete Burhan Kuzu, schlug in dieselbe Kerbe und twitterte: »Der Prozess gegen den Hetzer namens Deniz Yücel geht weiter, auch wenn er frei ist. Deutschland stellte ihm einen Privatjet zur Verfügung. Einige deutsche Politiker kritisierten die ihm geschenkte Aufmerksamkeit und verwiesen darauf, dass dieser Mann weder ein Journalist noch ein Deutscher sei. Die einzig mögliche Erklärung scheint zu sein, dass er doch ein ›Agent Deutschlands‹ ist.«
Die deutsche Öffentlichkeit weiß, dass die von Kuzu erwähnten Politiker der AfD angehören. Auch wenn dies in der türkischen Öffentlichkeit nicht bekannt ist, dürfte Kuzu ganz genau wissen, wen er zitiert, um Deniz Yücel zu diffamieren. So wie die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel zweifelt auch Kuzu an, dass Yücel ein Deutscher und ein Journalist sei. Er ist auf gleicher Wellenlänge wie Weidel und bedient sich derselben Argumente, um gegen Yücel zu hetzen.
Lediglich den beiden Tageszeitungen »Evrensel« und »Cumhuriyet« war die Freilassung von Deniz Yücel eine Schlagzeile wert. Beide berichteten von der Freilassung und von den lebenslangen Haftstrafen gegen die Gebrüder Altan und für Nazılı Ilıcak.
Dass Deniz Yücel deutscher Staatsbürger ist und die Bundesregierung Druck auf die Türkei ausübte, spielte bei seiner Freilassung sicherlich eine erhebliche Rolle. Was ist aber mit den anderen verhafteten Journalisten, Autoren und Politikern, deren einziges »Verbrechen« darin besteht, die herrschenden Verhältnisse in der Türkei kritisiert zu haben? Offensichtlich wird in der Türkei Erdoğans im Falle von Angeklagten mit türkischem und ausländischem Pass mit zweierlei Maß gemessen. Die Geiselhaft für Erstere geht weiter. Es ist zu befürchten, dass ihre Zahl steigen wird, je stärker die Opposition wird und je mehr die Chancen Erdoğans auf eine Alleinherrschaft schwinden.
Nicht alle haben also so viel Glück wie Deniz Yücel. Sie werden in absehbarer Zeit ausschließlich den türkischen Pass besitzen. Deshalb müssen der Kampf gegen das autoritäre Regime in Ankara und die Solidarität mit den Inhaftierten verstärkt werden. Dass mit dieser Solidarität viel erreicht werden kann, haben wir im Fall von Deniz Yücel gesehen.
Aus dem Türkischem von Mehmet Çalli
Die längere türkische Textfassung können Sie hier lesen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.