»Wir wollen gestalten«
Hessische SPD strebt wieder in Regierungsämter und legt Programm für Landtagswahl vor
Ihre Partei ziehe ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf und könne sich, abgesehen von der Rechtspartei AfD, alle anderen politischen Parteien mit Aussicht auf Einzug in den Wiesbadener Landtag als Koalitionspartner vorstellen, erklärte Nancy Faeser, Generalsekretärin der Hessen-SPD, dieser Tage vor Journalisten in Wiesbaden. Um diese Aussage zu unterstreichen, traf sich am Wochenende das hessische Spitzenpersonal von SPD und Liberalen zum Abendessen mit »politischem Meinungsaustausch« in einem Hotel in Oberursel vor den Toren der Bankenmetropole Frankfurt am Main. Beide Seiten sprachen in einer gleichlautenden Presseerklärung von einer »konstruktiven Atmosphäre« bei der Erörterung von Fragen der Wirtschafts- und Bildungspolitik. Während FDP-Fraktionschef René Rock seinen Wunsch nach einer hessischen »Reformkoalition« bekräftigte, unterstrich auch SPD-Landes- und Fraktionschef Thorsten Schäfer-Gümbel Gemeinsamkeiten mit den Liberalen und kritisierte die amtierende Koalition aus CDU und Grünen: »Der schwarzgrüne Stillstand ist Gift für die Zukunft unseres Landes. Wir wollen gestalten, nicht nur verwalten.«
Die hessischen Liberalen hatten beim letzten Urnengang, der zeitgleich mit der Bundestagswahl 2013 stattfand, den Wiedereinzug in den Landtag nur äußerst knapp und nach einer stundenlangen Zitterpartie geschafft. Seit 1987 hatten sie mit Abstand dreimal mit der CDU regiert. Das letzte SPD-FDP-Kabinett in Hessen endete nach zwölf Jahren im Herbst 1982 und liegt damit über 35 Jahre zurück. Weil inzwischen CDU und Grüne in der hessischen Landespolitik koalieren und beide Seiten mit einer Fortsetzung dieser Konstellation liebäugeln, gibt sich die FDP trotzig und einem Flirt mit der SPD nicht abgeneigt. Zum Jahresanfang hatte Rock in einem FAZ-Interview demonstrativ betont, »dass die CDU nicht mehr unser natürlicher Partner ist«. Ob allerdings die Mehrheitsverhältnisse im künftigen Wiesbadener Landtag die »sozialliberalen« Träume stützen, ist fraglich. Nach einer im Januar durchgeführten Infratest dimap-Umfrage könnte auch Hessen ein Sechs-Parteien-Parlament mit einer erstmals vertretenen AfD-Fraktion bekommen. Die Meinungsforscher sehen die SPD im einstigen »roten Hessen« bei mageren 25 Prozent und die Liberalen bei acht Prozent, während die seit 1999 in Hessen tonangebende CDU mit 31 Prozent die Nase vorn hätte. »Da ist für uns noch Luft nach oben«, so Faeser, die ihre Partei zur Nr. 1 bei der Wahl am 28. Oktober machen will.
Den deutlichen Rückstand zur CDU und anhaltenden Gegenwind aus der Bundespolitik möchte die Hessen-SPD mit einer breit angelegten Programmdebatte wettmachen. Mitglieder und gesellschaftliche Organisationen sind zu regionalen »Mitmachtagen« eingeladen, bei denen der 177 Seiten dicke Entwurf eines Wahlprogramms zur Diskussion steht. Für den Rhein-Main-Ballungsraum liegt der Fokus auf dem Bau bezahlbarer Wohnungen und dem Ausbau von Verkehrswegen und Öffentlichem Nahverkehr. Ländliche Regionen sollen durch die Wiederbelebung von Dorfgemeinschaftshäusern und stillgelegter Bahnstrecken, schnelles Internet, rollende Arztpraxen und Gemeindeschwestern, neudeutsch »Versorgungsassistentinnen« genannt, attraktiver werden. Auch will die SPD die Praxis sachgrundloser Befristungen der Arbeitsverträge von Lehrern an staatliche Schulen beenden.
Bei der Durchsicht des SPD-Forderungskatalogs fällt auf, dass die Partei auch von eigenen »Sünden« aus den vergangenen Jahren in Bund und Land eingeholt wird. So unterstützten Schäfer-Gümbel und sein SPD-Landesverband 2011 demonstrativ die Verankerung einer »Schuldenbremse« in der Landesverfassung, die den Vorwand für Ausgabenkürzungen lieferte und zu einem Investitionsstau beitrug. Gewerkschaften, Sozialverbände und die seit 2008 im Landtag präsente LINKE lehnten dies damals ab. Langsame Internetzugänge in vielen Dörfern und Kleinstädten sind auch Folge der von der SPD seit den 1990er Jahren mit vorangetriebenen Telekomprivatisierung. Die Knappheit an erschwinglichen Wohnungen im Rhein-Main-Gebiet wurde durch die Zurückdrängung des sozialen Wohnungsbaus und die unter Ex- SPD-Bauminister Franz Müntefering vorangetriebene Privatisierung einstiger Eisenbahnerwohnungen verschärft.
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