Was von den Spielen bleibt

Oliver Kern sinniert darüber, was für ihn von den Spielen übrig bleibt

»Liebe Mutti! Die Sonne scheint, das Essen schmeckt, die Freunde sind nett.« Ein Abschlusstagebuch schreiben ist wie die Postkarte aus dem Ferienlager. Schnell noch mal an alles erinnern, was in den vergangenen Tagen geschehen ist. Dabei war es so viel, dass im Gedächtnis schon einiges verschwommen ist. Also lieber aufs Wesentliche konzentrieren.

Im Fahrstuhl las ich hier zwei Mal täglich den Werbespruch von Südkoreas Touristenbehörde: »Wir schenken Ihnen Erinnerungen fürs Leben.« An Sehenswürdigkeiten denke ich aber sicherlich nicht zurück. Dann schon lieber an die immer freundlichen Koreaner, die dafür sorgten, dass diese Spiele die am besten organisierten waren, bei denen ich je war. Welches Problem es auch gab - und es gab nur wenige - es wurde sofort gelöst. Jeder Bus war pünktlich, und immer war ein Freiwilliger zur Stelle, der einem weiterhelfen konnte.

Sportlich werde ich wohl am ehesten im Gedächtnis behalten, dass ich Eiskunstläuferin Aljona Sawtschenko nun schon zum dritten Mal über eine Medaille habe weinen sehen - dieses Mal aber endlich aus Freude über Gold, anstatt aus Trauer über verpasste Siege wie noch in Vancouver und Sotschi. Da musste ich fast sogar mitheulen. Sport kann doch manchmal so ergreifend sein.

Das Erinnerungswürdigste aber bleibt jene Mannschaft, die hier all ihre Spiele verloren hat. Ich war bei der ersten und der letzten Partie des Frauen-Eishockeyteams aus Korea dabei. Nord und Süd gemeinsam - das hatte es noch nie gegeben. Viel wichtiger aber erschien mir die Akzeptanz dieser Verbindung unter den Zuschauern. Menschen aus beiden Ländern sangen gemeinsam auf den Rängen: »Korea. Wir sind eins.«

Noch zweifle ich daran, ob das irgendetwas ändern wird. Eine Vereinigung zweier mittlerweile so unterschiedlicher Länder kann ich mir immer noch nicht vorstellen. Aber irgendwann mal den eigenen Enkeln erzählen zu können: »Ich war dabei, als alles begann.« Das wäre schon was. Und wie das Wetter in jenen Tagen war, werde ich dann wohl längst vergessen haben.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -