Die Pinocchios von morgen
Roboter und Drohnen sind die Stars des Objekttheaterfestivals »Wir sind die Zukunft« an der Schaubude
Behauptung ist das halbe Leben. Vor zwei Jahren, zu Beginn seiner Intendanz an der Schaubude, warf Tim Sandweg forsch das Spielzeitmotto »Digital ist besser« in den öffentlichen Raum. Das verlieh der Puppen- und Objekttheatersparte avantgardistischen Charme.
Einige Produktionen später dürfen sich Sandweg und die in Sachen Roboter-Animation recht aktive Abteilung Puppenspielkunst der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« über erlauchte Fürsprache freuen: Peter Weibel, Direktor des Zentrums für Kunst und Medien in Karlsruhe und legendärer Digitaltausendsassa der bildenden Kunst, erhob vor einiger Zeit »ein Theater der Dinge, vollzogen von Schauspielern, die mit Robotern und autonomen Gegenständen spielen«, zur Zukunftsform der Bühnenbranche schlechthin.
»Wir haben diese Steilvorlage genutzt und unser Festival ›Wir sind die Zukunft‹ genannt«, meint Sandweg fröhlich. Er nutzt Weibels Zitat mit voller Berechtigung. Das »Theater der Dinge« gibt es schließlich schon seit 2003 an seinem Haus, etabliert noch von der Vorgängerin Silvia Brendenal. Die Zukunft war längst da, sie muss eben nur erkannt werden.
Das an diesem Dienstag beginnende Festival »Wir sind die Zukunft« ist eine Bestandsaufnahme. Gezeigt werden einige der besten Produktionen aus der Reihe »Digital ist besser« wie »Pinocchio 2.0« von der Berliner Gruppe Manufaktor. Auch neue Arbeiten sind dabei, so etwa »Robot Dreams« der Stuttgarter Iris Meinhardt und Michael Krauss, die sich von ihren Videoanimationen in dieser Produktion komplett lösen und mit Tänzern arbeiten, die sich Körpererweiterungen anlegen. Die Hard- und Softwareshow »All your base are belong to us« der Bastler- und Frickler-Fraktion der »Ernst Busch«-Puppenspieler wird das Festival beschließen.
Zwar ist die Bandbreite der Produktionen des aktuellen Festivals sehr groß. Gemeinsame Charakteristika aber sind die Freude am Spiel und die Lust beim Erobern neuer Territorien. Diese liegen nicht immer - und das ist ein ganz großer Reiz der noch jungen technologisch angetriebenen Schaubuden-Ära - in den digitalen Reichen und programmierten virtuellen Welten. Im charmanten »Theaterautomat« steckt etwa eine Person ihren Kopf in eine Kugel und sieht runden und scharfen Metallobjekten bei ihrer magnetisch angetriebenen Performance zu. Kein Animateur ist sichtbar, die Materie aber bewegt sich doch - und in all ihrer Mechanik löst sie sogar Emotionen aus. Einfach ist in diesem Falle tatsächlich mehr.
Technologisch ambitionierter ist »Pinocchio 2.0«, eine ins Jahr 2084 verlagerte Neufassung der bekannten Pinocchio-Geschichte. Sie erkundet eine Welt, die von künstlichen Intelligenzen bevölkert wird. Tierähnliche Kampfroboter haben sich da zu Herren der Welt aufgeschwungen. Die Menschen verstecken sich verängstigt. Nur der humanoide Roboter Pinocchio wagt noch Widerstand. Er will den Menschen helfen. Vor allem aber will er von den Menschen als ihresgleichen akzeptiert werden. Dass die es nicht machen und auf der Differenz beharren, ist Quell unendlichen Leids für dieses artifizielle Wesen.
Die emotionalen Zustände intelligenter Maschinen sind auch Thema von »Robot Dreams«. Mit dieser Produktion kehren Leiblichkeit und Körperlichkeit zurück auf die Bühne. Die Tänzer legen sich Erweiterungen an in Form von Flügeln oder einem raupenartigen Gebilde. Der menschliche Körper wird dadurch transformiert. »Pinocchio 2.0« ist in dieser Hinsicht klassischer. Die menschlichen Mitspieler treten hinter den künstlichen Wesen - neben Pinocchio und dem Fuchs/Katze-Roboter unter anderem noch eine Drohne und ein kleiner Saurier - als eine Art von Bedienern zurück.
All die unterschiedlichen Ansätze bei diesem »Theater der Dinge« versprechen ein interessantes Festival. Gut für die Entwicklung dieser noch jungen Subsparte der Darstellenden Kunst ist der Open-Source-Gedanke bei der Abschlusspräsentation »All your base are belong to us«. Für alle vorgestellten Objekte sollen Bauanleitungen und Quellcodes zugänglich gemacht werden. So kann es gut in Richtung Zukunft gehen.
»Wir sind die Zukunft«, vom 27.2. bis zum 6.3. in der Schaubude, Greifswalder Str. 81- 84, Prenzlauer Berg.
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