Neustart mit Hannibal?
Tunesien: Neugier auf Neuentdeckung Karthagos
Dabei hat das Land so ziemlich alles, was Erholungsuchende wie Wissbegierige anlocken könnte: die Mittelmeerküste, aber gleich dahinter auch schon die Sahara, die Wälder im Nordosten, die zentral gelegenen Salzseen, Naturparks, Kultur- und Kunstschätze aller Orten, die Hauptstadt Tunis mit ihrer grandiosen, charmant-maroden Medina - und alles kaum mehr als zwei Flugstunden von Deutschland entfernt.
Das klingt zwar gut, gilt aber in der Region nicht allein für Tunesien. Andere haben die Wende weg vom industriellen Massentourismus besser gemeistert, etwa Ägypten und die Türkei. Auch in Tunesien gibt es zwar gelungene Versuche mit Boutiquehotels, den »Dars«, mit Kultur-, Kunst- und Ökotourismus. Doch der Regierung fehlt es offensichtlich an Kraft, Ideen und Köpfen, diese Pflänzchen zu einem Strauß zu binden, von dem Touristen hellauf begeistert sind.
Seit Anfang 2011, also seit dem Beginn des »arabischen Frühlings«, wurde beispielsweise der zuständige Ministersessel bereits das fünfte Mal neu besetzt. Amel Karboul, die Vorgängerin der aktuellen Posteninhaberin, hatte im »nd« einmal geradezu visionär die Richtung vorgegeben: »Tunesien muss seine wichtigsten Sehenswürdigkeiten zu einer Marke manchen, wie Rom das Kolosseum.« Sie fügte hinzu: »Und bei allem müssen wir zudem schneller und effizienter werden.«
Nach ihrer Amtszeit klingt das in Tunesien wieder eher brav und bieder. Natürlich nicht ganz grundlos, denn das Land hat zwar viel römische Steine, aber eben kein Amphi-theatrum Flavium. Dennoch gäbe es vielleicht - und dies sogar auf ähnlicher Ebene - ein touristisches Alleinstellungsmerkmal: Karthago.
Auf Karthago trifft man schon jetzt gar nicht so selten. Da fand letztes Wochenende der gleichnamige Marathon statt, und im April startet Jazz à Carthage. Der Sitz des tunesischen Präsidenten wird landläufig Carthage Palace genannt, und der Flughafen von Tunis heißt mit vollem Namen Aéroport International de Tunis-Carthage. Alles aber eben nicht gebündelt, geschweige unter eine neue, übergreifende, ausgefallene, inspirierende Marke gebracht.
Natürlich gibt es in Karthago, heute einer der Vororte von Tunis, auch ein Karthago-Museum. Jamel*, 45, ist hier seit über 20 Jahren als, wie er sagt, »Mann für alles« angestellt, also als Haus- und Hofarbeiter. »Ich liebe meine Arbeit«, sagt er mit stolzem Blick. »Weil ich hier ein sicheres Einkommen für meine Familie habe. Und weil ich an einem Ort arbeite, der doch für uns in Afrika wie für euch in Europa von so großer historischer Bedeutung ist.«
Karthago (römisch Punien) war für Rom der größte Brocken auf dem Weg zur antiken Weltmacht. Denn Karthago ist im westlichen Mittelmeer jahrhundertelang die entscheidende Großmacht vor Rom gewesen. Bis nach den drei Punischen Kriegen, die sich von 264 bis 146 v. u. Z. über 120 Jahre hinzogen. Danach war die Stadt Karthago ebenso ausradiert wie ihr Machtbereich.
Das ist nicht bildhaft gemeint, sondern buchstäblich. In einem Horrorfinale ließ der römische Befehlshaber Scipo nach der Besetzung alles schlachten, was lief, alles schleifen, was stand, alles verbrennen, was brannte. Danach übernahm Rom das Monopol der Geschichtsschreibung Karthagos. Es ließ über den Trümmern des punischen Karthagos ein - Triumph wie Hohn des Siegers - gleichnamiges römisches errichten; es wurde dann Hauptstadt der imperialen Afrikaprovinz.
Viel Staat ist mit dem wirklich sichtbaren Erbe Karthagos also erst einmal nicht zu machen. Das Karthago-Museum sieht eher ärmlich aus, auch weil die wenigen tollen Stücke ins hauptstädtische Bardo-Museum transferiert sind. Kaum Gegenständliches ist übrig vom berühmtesten punischen Protagonisten Hannibal (247/46 bis 183 v. u. Z), lange oberster Feldherr mit Kampfnamen »Barkas«, der Blitz. Der war nicht nur Sieger der ersten historisch überlieferten strategischen Kesselschlacht - nämlich der gegen die Römer bei Cannae in Apulien (216 v. u. Z.) - und kommandierte die Karthager mit Kriegselefanten über den Alpenweg in den Rücken ihrer Feinde nach Italien. Er ermöglichte in Zwischenkriegszeiten als Sufet (höchster Staatsbeamter) auch den wirtschaftlichen Wiederaufstieg Karthagos.
Die römische Geschichtsschreibung, später die christliche, fixiert Hannibal als teuflischen Protagonisten eines ebensolchen Volksmobs: als kinderschlachtendes Ungeheuer, als das Unzivilisierte, für immer zu Vernichtende. Davon ist sein Bild vor allem in Westeuropa bis heute geprägt. Hier übrigens nicht zuletzt durch die Wirkung des Karthago-Roman »Salambo« von Gustave Flaubert (1862). Der habe »fast drei Jahre lang über 50 lateinische Originalquellen exzerpiert«, schreibt ein Biograf. Es lebe die historiographische Fake-News-Welt!
Jamel, dieser einfache »Mann für alles« im Karthago-Museum, hat eine feine Nase dafür. »Ich kenne das Wenige, was wir aus damaliger Zeit haben, auswendig. Das passt nicht zu dem Horrorbild. Das sollten wir deutlicher, mutiger in Frage stellen. Das ist sicher schwer, eine echte Herausforderung. Mancher würde uns dabei sicher belächeln, vielleicht würden aber viele ins Staunen kommen und neugierig werden.«
Dass Neugier auch in Bezug auf Karthago und Hannibal ein touristisches Zugpferd sein kann, bekräftigt Makrem, 41, aus vollem Herzen. Er betreibt nahe dem Museum den »Hannibal-Shop« mit Cafeteria. Von seinem Vater Ende der 70er Jahre eingerichtet, hat er ihn übernommen und erweitert. Er könne sich an keine Krise erinnern, sagt er mit verschmitztem Lächeln. »Hannibal zieht bei allen Touristen, egal ob aus Keramik, Metall, Stoff oder als Name für einen Spezial-Espresso.« Seine Familie lebt davon. Viele andere könnten das auch, meint er. Wenn Hannibal nicht nur als Souvenir, sondern als eine irgendwie große Idee angeboten würde.
Natürlich ist die Meinung zu dem Thema differenziert. Etwa bei Chénifa, 33, im kleinen Ort Le Kram, gleich neben Karthago. Sie hat dort gemeinsam mit Wajdi, 29, vor wenigen Wochen den kunsthandwerklichen Konzeptladen »All about« aufgemacht, mit sehr hippen wie auch sehr gediegenen Dingen. »Ja, okay, Hannibal war sicher ein super Typ«, sagt sie leicht distanziert, »ich aber verehre die phönizische Prinzessin Elissa (römisch Dido - d. A.), die von Zypern hierher zu uns auf den Byrsafelsen geflohen sein soll und als Gründerin Karthagos gilt.« Warum, weil sie eine Frau war? - »Das auch«, nickt Chénifa, »aber vor allem, weil sie so schlau war. Mit einem Trick hat sie, so die Sage, den einheimischen Häuptlingen letztlich viel mehr Land für ihr Baby-Karthago abgenommen, als die ihr geben wollten. Toll, oder?«
Weiter nördlich, hinter der Bucht von Bizerte, liegt der Nationalpark von Ichkeul. Weltkulturerbe, Biosphärenreservat, unterm Schutz der Ramsar-Konvention wäre er allein schon eine Tunesienreise wert. Unter anderem überwintern in diesem Ökosystem Hunderttausende Zugvögel. Rejeb, 48, ist hier Leiter und Chefguide. Bei der Tour mit ihm stehen wir plötzlich vor einem steinernen Elefanten. Hannibal ante portas, witzelt der Reporter. »Nein, nein, das soll ein Mammut sein. Wir haben hier entsprechende Knochen gefunden. Der Kerl ist für Besucher, aber natürlich vor allem für die Kinder gedacht. Reklame muss schließlich sein. Inzwischen ist er sogar zu einer Art Label für uns geworden.« Ob er sich das für Tunesien so ähnlich vielleicht auch mit Hannibal vorstellen könnte? - »Da bin ich kein Fachmann. Bei uns kommt der Dicke touristisch jedenfalls super an.«
Die Gescheitheit der Praxis sähe Hannibal und Karthago also durchaus als echte Sympathieträger für Tunesien. Dazu wollte vor ein paar Tagen eine kleine deutsche Journalistengruppe, darunter zwei ständig in Tunis stationierte Korrespondenten, auch die derzeitige Tourismusministerin Salma Elloumi Rekik befragen. Leider wurde das offiziell zugesicherte Gespräch erst verschoben, letztlich ganz abgesagt. Gutmeinend ließe das darauf schließen, dass Tunesien den Königsweg aus seinem tiefen Tourismustal inzwischen längst gefunden hat.
*Einige GesprächspartnerInnen wollten aus unterschiedlichen Gründen nicht mit vollem Namen genannt sein. Wir übernehmen das so für alle; die Nachnamen sind der Redaktion bekannt.
Info
Karthago-Museum: www.tripadvisor.de
Bardo-Museum: www.bardomuseum.tn
Ichkeul-Nationalpark: http://whc.unesco.org/en/list/8
Fremdenverkehrsamt Tunesiens in Deutschland: www.discovertunisia.com/de
Literatur:
Werner Huß, »Karthago«, Beck Verlag, München 1995, 123 S. brosch.
Gustave Flaubert, »Salambo«, Rütten & Loening, Berlin 1978, 384 S., geb.
Friedrich Köthe und Daniela Schetar, »Tunesien«, Reiseführer, Polyglott-Verlag, München 2015, 160 S., brosch., 12,90 Euro.
Diese Reise wurde vom Fremdenverkehrsamt Tunesien unterstützt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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