Gefängnis oder Ausreise

Das Ultimatum der israelischen Regierung an 40.000 Flüchtlinge ist umstritten

  • Oliver Eberhardt, Tel Aviv
  • Lesedauer: 4 Min.

Als das abgedunkelte Gesicht des Mannes auf dem Bildschirm auftaucht, werden die Betrachter ganz still; man versucht sich zu erinnern, ob man ihn, der hier fiktiv Dawit genannt wird, kennt: »Wir sind recht wenige, da kennt jeder jeden«, sagt ein Mann, der aus dem Sudan stammt; die Geschichte, die Dawit in dem Video erzählt, hat ihn sichtbar mitgenommen.

Denn so könnte seine Zukunft und die der Umstehenden aussehen: Israels Regierung möchte die circa 40 000 Flüchtlinge loswerden, die überwiegend aus dem Sudan, Süd-Sudan und aus Eritrea stammen. Weil der Oberste Gerichtshof mehrmals entschieden hat, dass eine Abschiebung in diese Länder nicht möglich ist, hat man vor einiger Zeit Abkommen mit Ruanda und möglicherweise auch Uganda geschlossen. »Möglicherweise«, weil die Existenz dieser Abkommen ebenso wie ihr Inhalt von den beteiligten Regierungen nicht bestätigt wird; dass es sie gibt, lässt sich einzig aus einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs ableiten, in der diese Abkommen erwähnt werden. Die Abschiebung in die Abkommensstaaten sei rechtmäßig, ein menschenwürdiges Leben für die Abgeschobenen garantiert, so das Urteil.

Seitdem stellt das Innenministerium die Flüchtlinge vor die Wahl: Gefängnis oder freiwillige Ausreise mit einer Geldsumme von 3500 US-Dollar in der Tasche. Einige, darunter der junge Mann aus dem Video, sind darauf eingegangen - »und in der Hölle gelandet«, sagt Mossi Raz, Abgeordneter der linksliberalen Meretz. Gemeinsam mit seiner Kollegin Michal Rozin, dem Anwalt Asaf Weitzen und einigen israelischen Journalisten ist er vor einigen Wochen nach Ruanda und Uganda gereist, um sich vor Ort ein Bild vom Schicksal der Menschen zu machen. Das Ergebnis hat auch viele Israelis schockiert.

»Wir haben von vielen Menschen gehört, dass sie ohne Papiere in Ruanda angekommen sind und nicht einmal durch die Passkontrolle gegangen sind«, sagt Anwalt Weitzen. Man habe gehört, wie die Abgeschobenen von den ruandischen Behörden einfach gezwungen wurden, die Grenze nach Uganda zu überqueren. »Diese Leute haben keinerlei Papiere, keinen Aufenthaltsstatus«, so Weitzen. »Sie können kein Visum beantragen, nicht arbeiten. Sie sind Geschäftemachern und Repressionen durch die Sicherheitsdienste schutzlos ausgeliefert.«

In Israel hat deshalb eine Debatte begonnen, die sehr kontrovers geführt wird: Am Wochenende demonstrierten gut 30 000 Israelis und Flüchtlinge in Tel Aviv gemeinsam gegen die Abschiebungen. Die Forderung: »Israel muss endlich eine Asylgesetzgebung mit geordneten Abläufen schaffen«, sagt die Meretz-Abgeordnete Rozin. Denn bislang gibt es keine Asylverfahren; die Flüchtlinge leben Jahrzehnte lang ohne Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen im Land, was zu jenen sozialen Probleme führt, die sehr viele Israelis dazu bringt, die Abschiebung der Flüchtlinge zu fordern.

Vor allem im armen Süden Tel Avivs beschweren sich Menschen schon seit Jahren darüber, dass dort Tausende Flüchtlinge leben. Der Grund dafür ist, dass Geschäftemacher in heruntergekommenen Gebäuden den Wohnraum vermieten, den die Menschen mangels Papieren auf dem freien Wohnungsmarkt nicht anmieten können. Die Wohnungen sind meist stark überbelegt. »Viele der Flüchtlinge sind deshalb weiterhin auf der Flucht«, sagt eine Sprecherin der Hilfsorganisation Kav LaOved: »In den Alkohol und in die Drogen.«

Seit einigen Jahren versucht die Regierung, die Flüchtlinge deshalb in einem Holot genannten Lager mitten in der Wüste unterzubringen. Doch so mancher kehrt dennoch nach Tel Aviv zurück; zu öde ist es in Holot.

»Unser Leben besteht aus 50 verschiedenen Arten von grausam«, sagt eine Frau aus Eritrea, die in Tel Aviv in einem kleinen Supermarkt schwarz arbeitet. Das Leben in der Heimat sei die »absolute Hölle«, deshalb sei man nach Ägypten geflüchtet und von dort durch den Sinai nach Israel. Die Grenze war damals leicht zu überqueren. In Ägypten sind psychische und physische Gewalt an der Tagesordnung, sagt ein Sprecher der Vereinten Nationen.

Für viele der Flüchtlinge ist nach den Berichten aus Ruanda und Uganda die Entscheidung gefallen: Man wird wohl ins Gefängnis gehen. »Im Knast gibt es wenigstens drei Mal am Tag etwas zu Essen und eine Gesundheitsversorgung«, sagt einer der Männer in Holot. Derweil hat der Oberste Gerichtshof der Regierung aufgetragen, Stellung zu den Berichten zu nehmen; man wolle die Entscheidung noch einmal überdenken.

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