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Erneuerung oder GroKo?

Die SPD hat ihren Mitgliederentscheid abgeschlossen

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 6 Min.

Am Sonntag hat das Warten ein Ende. Dann wird morgens im Willy-Brandt-Haus bekannt gegeben, wie die SPD-Mitglieder über den schwarz-roten Koalitionsvertrag abgestimmt haben. Die Entscheidung dürfte vielen Genossen nicht leicht gefallen sein. Denn die Politik der SPD in der Großen Koalition gilt als zentrale Ursache dafür, dass sich die Krise der Sozialdemokraten verschärft hat. Eine Fortsetzung dieses Bündnisses ist also wenig attraktiv. Deswegen haben Parteilinke für eine Ablehnung geworben.

Auf der anderen Seite ist die SPD immer eine staatstragende Partei gewesen. Für ihre Führung war es eine Selbstverständlichkeit, dass sie sich erneut für eine Regierungsbeteiligung zur Verfügung stellt, weil die Union nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen mit FDP und Grünen kaum noch andere Optionen hatte. Es gilt als offen, welche Seite sich in der SPD letztlich durchsetzen wird. Das »nd« gibt Antworten auf die Fragen, wie es nach dem Mitgliederentscheid weitergehen könnte.

Gibt es Prognosen, wie der Mitgliederentscheid der SPD ausgeht?

Nach einer kürzlich veröffentlichten Umfrage des Instituts Yougov sind 56 Prozent der SPD-Anhänger für die Fortsetzung der Großen Koalition. Allerdings wurden hier nicht explizit Parteimitglieder befragt. Insgesamt waren rund 460 000 Sozialdemokraten dazu aufgerufen, bis Freitag ihre Stimme abzugeben. Am Sonntag wird das Ergebnis bekannt gegeben. Vor vier Jahren hatte die SPD-Basis noch mit einer Mehrheit von 75,96 Prozent für den Eintritt in ein Bündnis mit der Union gestimmt. Vor allem linke Sozialdemokraten, die eine Fortsetzung von Schwarz-Rot ablehnen, erwarten nun ein knappes Ergebnis.

Was ist anders im Unterschied zum Mitgliederentscheid der SPD vor vier Jahren?

Der Parteiführung wird intern vorgeworfen, ihr Wort gebrochen zu haben. Denn nach der Bundestagswahl im September hieß es noch, dass die SPD nach ihrem katastrophalen Wahlergebnis in die Opposition gehen und sich inhaltlich erneuern werde. Nach dem Scheitern des Jamaikabündnisses wurden diese Überlegungen über Bord geworfen. Vor vier Jahren hatte sich die SPD-Führung dagegen schnell auf eine Große Koalition festgelegt und ihren Mitgliedern Prestigeprojekte wie die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns, die abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren für langjährig Versicherte und die sogenannte Mietpreisbremse präsentiert. Diese Instrumente haben sich bei der Bekämpfung von Armut und der Herstellung von mehr Gerechtigkeit aber als wenig wirkungsvoll erwiesen. Nun können die Spitzengenossen ihren Unterstützern noch weniger anbieten. Die Bürgerversicherung wird nicht kommen. Die SPD-Führung verspricht lediglich, in dem Bündnis mit der Union die sachgrundlosen Befristungen von Arbeitsverträgen einzuschränken und dafür zu sorgen, dass Unternehmer und Beschäftigte wieder gleich viel in die Krankenkasse einzahlen.

Was würde ein Nein der Parteimitglieder kurzfristig für die SPD bedeuten?

Die designierte Vorsitzende Andrea Nahles hat klargestellt, dass die SPD-Führung für diesen Fall keinen Plan B hat. Es liegt nahe, dass in der Partei niemand Neuwahlen will. Denn in diesem Fall droht der SPD ein weiterer Absturz. In Umfragen liegt sie bei nur noch 15,5 bis 18 Prozent. Im Falle einer Ablehnung durch die SPD-Mitglieder wird eine Führungskrise der Partei erwartet. Denn das gesamte Führungsteam hat für Schwarz-Rot geworben. Die Ablehnung des Koalitionsvertrags wäre also gleichbedeutend mit einem großen Vertrauensverlust in der Basis. Allerdings ist schwer vorhersehbar, wer in der SPD seinen Hut nehmen müsste. Auf jeden Fall würde der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz seine bundespolitischen Ambitionen begraben. Der kommissarische SPD-Chef, der als Vizekanzler und Finanzminister in einem möglichen neuen Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel gehandelt wird, müsste sich vermutlich bis zum Ende seiner politischen Karriere in die Hansestadt zurückziehen. Auch der Druck auf Andrea Nahles und weitere Spitzengenossen dürfte steigen, sich in die zweite Reihe zurückzuziehen.

Sind Neuwahlen alternativlos, wenn Schwarz-Rot nicht zustande kommen sollte?

Nein, aber sie sind wahrscheinlich. Theoretisch ist es möglich, dass sich Union, FDP und Grüne erneut zusammensetzen und über eine Regierungsbildung beraten. Dafür spricht jedoch ebenso wenig wie für eine Minderheitsregierung, welche Angela Merkel abgelehnt hat. Der Weg zu Neuwahlen ist nicht einfach. Denn auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hätte hier ein Wort mitzureden. Artikel 63 des Grundgesetzes legt fest, dass der Bundespräsident den Bundestag nur auflösen kann, wenn ein Kandidat bei der Kanzlerwahl nicht die absolute Mehrheit erhalten hat. Nach einer gescheiterten Wahl kann das Parlament in 14 Tagen erneut einen Kanzler oder eine Kanzlerin mit der Mehrheit der Abgeordneten wählen. Scheitert auch dies, so ist in einer dritten Wahlphase die Wahl mit einfacher Mehrheit möglich. Genügt die Stimmenzahl dann immer noch nicht, so hat es der Bundespräsident in der Hand, ob er den Regierungschef ernennt – und damit eine Minderheitsregierung – oder ob er den Bundestag auflöst.

Was passiert, wenn die sozialdemokratische Basis dem Koalitionsvertrag zustimmen sollte?

Die Regierungsbildung würde dann schnell vonstattengehen. Intern hat Andrea Nahles laut Medienberichten angekündigt, dass die SPD ihre Ministerriege am 12. März bekannt geben wird. Angela Merkel würde dann wenige Tage später zur Kanzlerin gewählt werden. Nahles selber will dem nächsten Kabinett nicht angehören. Viele Personalien sind noch offen. Fraglich ist beispielsweise, ob Sigmar Gabriel als Außenminister weitermachen dürfte. Als gesetzt gelten hingegen neben Olaf Scholz der Justizminister Heiko Maas und Familienressortchefin Katarina Barley. Sie könnten in dieser Legislatur neue Ressorts erhalten. Zudem diskutiert die SPD, ob sie nicht zumindest einen Minister nominieren sollte, der aus Ostdeutschland stammt. Die CDU hat auf Kabinettsmitglieder aus dieser Region verzichtet.

Was wird aus der Erneuerung der SPD, wenn sie Juniorpartnerin der Union bleiben sollte?

Auf diese Frage hat die Führung der Sozialdemokraten bislang keine Antwort gefunden. Offensichtlich will die derzeitige Parteispitze auch keine großen programmatischen Veränderungen. Sie ist zufrieden mit sich selbst und den Ergebnissen ihrer Regierungspolitik. Dass damit immer weniger SPD-Wähler überzeugt werden können, ignorieren die Protagonisten. Die SPD-Mitglieder sollen mit neuen »digitalen Beteiligungsformen« abgespeist werden. Ob sie auch wirklich öfter von ihrer Führung gehört werden, steht in den Sternen. Der Blick wird sich auch auf die verbliebenen Parteilinken richten. Der Vorsitzende der Jusos, Kevin Kühnert, könnte eine große Zukunft in der SPD vor sich haben. Denn ihm ist es gelungen, eine Kampagne gegen die Große Koalition auf die Beine zu stellen, ohne dabei die eigene Führung so hart zu attackieren, wie dies zuweilen seine Vorgängerin Johanna Uekermann getan hat. Kühnert könnte als gemäßigter Kritiker schrittweise in der SPD eingebunden werden. Nach Meinung von Kühnert sind die Sozialdemokraten »meilenweit von einer Spaltung entfernt«. Man streite in der Sache, lasse sich aber nicht auseinandertreiben. Andere SPD-Linke wie der Dortmunder Bundestagsabgeordnete Marco Bülow haben der Parteiführung in den vergangenen Wochen dagegen vorgeworfen, eine Spaltung zu riskieren. Denn eine Erneuerung in der Regierung sei für die SPD nicht möglich.

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