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- Aufnahmestopp bei der Tafel
Essener wehren sich gegen Ausgrenzung von Ausländern
Nach dem Aufnahmestopp für Nichtdeutsche bei der Essener Tafel rufen Betroffene zum Protest auf
Die Kritik am Aufnahmestopp von Nichtdeutschen bei der Essener Tafel reißt nicht ab. Anwohner der Ruhrpott-Metropole, die nun keine Lebensmittel erhalten, weil sie keinen deutschen Pass besitzen, rufen zum Protest auf. An diesem Samstag wollen sie mit dem Verein Interkulturelles Solidaritätszentrum Essen, dem Anti-Rassismus-Telefon und Sympathisanten in der Nähe der Tafel-Räumlichkeiten demonstrieren.
Die Entscheidung der Essener Tafel, neue Berechtigungen zum Empfang von Lebensmitteln nur noch an Bürger mit deutschen Dokumenten auszustellen, fiel Anfang des Jahres. Begründet wurde der Schritt mit einem angeblich zu hohen Anteil an Ausländern unter den »Kunden« von mittlerweile 75 Prozent. Die Maßnahme hat eine bundesweite Debatte ausgelöst und Politiker aller Couleur offenbaren Schwierigkeiten, eine klare Position gegen Rassismus zu beziehen.
Jetzt melden sich immer mehr Menschen zu Wort, die von der Maßnahme direkt betroffen sind. Über Soziale Netzwerke wie Facebook äußern sie ihren Unmut darüber, an der Tafel abgewiesen worden zu sein. Auch Anna Jojul, die in Essen geboren wurde, aber EU-Ausländerin ist, findet die neue Praxis der Tafel beunruhigend. Sie schrieb einen Brief an den Verband alleinerziehender Mütter und Väter, da sie sich besonders um die Auswirkungen auf Alleinerziehende ohne deutschen Pass sorgt. Mit ihrem Einverständnis veröffentlicht das »nd« den Brief in Auszügen:
»Als ich die Nachrichten zur neuen Ausgrenzungsstrategie der Essener Tafel vernommen habe, verschaffte ich mir vor Ort einen Eindruck. Ich sprach mit einem Mitarbeiter der Tafel und einer betroffenen jungen Mutter, alleinerziehend (Aufstockerin und Südamerikanerin).
Die Frau ist mittelbar von der neuen Ausgrenzung betroffen und empfindet es als ungemein diskriminierend, dass ihre Freundin, ebenfalls alleinerziehende, spanischsprachige Migrantin, im Februar keinen Schein für die Tafel bekommen hat, nur aufgrund ihres Passes.
Ich bin ehemaliges Mitglied des Sozialausschusses in Essen, EU-Ausländerin und war alleinerziehende Mutter, mein Sohn ist inzwischen erwachsen. Ich selbst könnte ebenso betroffen sein, wie meine holländische Mutter oder mein spanischer Vater (Rentner, die beide zum Glück nicht von Altersarmut betroffen sind).
Der Sozialdezernent Essens, Peter Renzel hat in einem Interview mit dem WDR 5 ausdrücklich dargestellt, dass die Maßnahme alleinerziehende Mütter, Rentnerinnen und Kinder schützen soll. Allerdings hat er stillschweigend, aber eindeutig nur deutsche Personen unter diese Begriffe eingeklammert und damit gut geheißen, dass vielen ausländischen Frauen und Rentnerinnen der Zugang zur Tafel pauschal verweigert wird.
Besonders unverständlich erscheint mir, dass Herr Renzel auf seiner Facebookseite schreibt, die Maßnahmen sei geeignet, Vorurteile abzubauen.
Ich fühle mich persönlich verletzt und diskriminiert, durch diese Aussage, direkt und stellvertretend für andere alleinerziehende Frauen mit ausländischem Pass. (...)«
Als Sozialdezernent ist Peter Renzel (CDU) Mitglied des runden Tisches, der mit örtlichen Wohlfahrtsverbänden und dem Verbund der Migrantenselbstorganisationen gegründet werde, um über die Verteilung der Lebensmittel nachzudenken. In einem Interview mit der Rheinischen Post sagte Renzel am 28. Februar zu der Maßnahme der Essener Tafel, neue Berechtigungen für Lebensmittel nur noch an Menschen mit einem deutschen Pass zu vergeben: »Die Entscheidung wurde getroffen, um das entstandene Missverhältnis wieder etwas zu begradigen. Das hat mit Ausländerfeindlichkeit überhaupt nichts zu tun, sondern ist der Versuch, den eigenen Verpflichtungen nachzukommen.«
Jujol wandte sich auch deshalb an den Verband alleinerziehender Mütter und Väter, um herauszufinden, wie viele ausländische Alleinerziehende von der Maßnahme der Essener Tafel betroffen sind. Ute Zimmermann, Pressereferentin des Verbands, erklärte gegenüber »nd«, dass die Institution jedoch nicht über solche Zahlen verfüge.
Auch das Amt für Statistik Stadtforschung und Wahlen der Stadt Essen verfügt über keine Aufschlüsselung, wie viele alleinerziehende Leistungsberechtigte in Essen nicht deutscher Herkunft sind. Allerdings teilte die Stelle auf nd-Anfrage mit, dass es im Jahr 2016 in Essen 107.769 Leistungsberechtigte nach den Sozialgesetzbüchern II, XII und dem Asylbewerberleistungsgesetz gab, neuere Zahlen liegen noch nicht vor. All diese Menschen könnten theoretisch »Kunden« der Essener Tafel sein. Von den Leistungsberechtigten waren laut Amt im Jahr 2016 in Essen 63 Prozent Deutsche und 36 Prozent Nichtdeutsche, wobei ein Prozent ungeklärt oder ohne Angabe blieb. Wenn sich die Zahlen nicht signifikant geändert haben, handelt es sich somit um insgesamt 38.873 Menschen, die künftig keine Hilfe bei der Essener Tafel erwarten können. Die Mitarbeiter der Lebensmittelausgabe im Wasserturm können im Schnitt grundsätzlich jedoch nur 6000 Menschen in der Woche versorgen.
Lesen Sie auch den Kommentar von Katja Kipping »Bei der Essener Tafel geht es um Sozialpolitik«.
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