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Sieg ohne Jubel
Nach dem Erfolg der SPD-Spitze beim Mitgliederentscheid wachsen Sorgen der Parteilinken
Olaf Scholz ist kein Mann der großen Emotionen. Ohne eine Miene zu verziehen, verkündet der Hamburger Bürgermeister, der zugleich kommissarisch den SPD-Vorsitz übernommen hat, am Sonntagmorgen vor den Journalisten im Willy-Brandt-Haus, dass seine Partei nach dem Votum ihrer Mitglieder nun in die Bundesregierung mit der Union eintreten werde. »Wir haben es uns nicht leicht gemacht«, sagt Scholz. Die Partei habe in den vergangenen Wochen intensiv über den Koalitionsvertrag diskutiert. »Wir sind dabei weiter zusammengewachsen«, meint der Hanseat.
Diese These dürfte nicht jeder in der Partei unterstützen. Denn in der Regierungsfrage ist die SPD zerrissen. Immerhin fast 34 Prozent der Mitglieder haben gegen die Fortsetzung des schwarz-roten Bündnisses gestimmt. Gut 66 Prozent sind dem Willen der Parteispitze gefolgt und haben den Koalitionsvertrag abgesegnet. Als dies verkündet wird, herrscht Schweigen in der Parteizentrale. Jubel bricht unter den anweisenden Parteimitgliedern nur in dem Moment aus, als SPD-Schatzmeister Dietmar Nietan, der auch Chef der Auszählkommission ist und neben Scholz am Rednerpult steht, die Wahlbeteiligung verkündet. 78,39 Prozent der mehr als 463 000 stimmberechtigten Sozialdemokraten haben an der Abstimmung teilgenommen. Das ist ein durchaus ordentliches Ergebnis und zeigt das große Interesse in der SPD an innerparteilicher Demokratie.
Nietan betont, dass die Auszählung notariell überwacht wurde. Dann dankt er den mehr als 120 Freiwilligen. Sie haben die gesamte Nacht im Willy-Brandt-Haus durchgearbeitet. Am Eingang mussten die Freiweilligen ihre Mobiltelefone abgeben, damit keine Informationen nach außen dringen. Nun stehen sie an den Brüstungen der oberen Stockwerke der SPD-Zentrale. Es sind viele junge Menschen dabei. Sie beobachten die Pressekonferenz, die im rappelvollen Atrium des Gebäudes stattfindet.
Hier erklärt Scholz, dass sich die Führung der Sozialdemokraten in dieser Woche Zeit für Personalvorschläge nehmen werde. Die SPD überlegt noch, wen sie in das nächste Bundeskabinett schicken soll, das erneut von der CDU-Chefin Angela Merkel als Kanzlerin geführt wird. Am 14. März könnte Merkel im Bundestag gewählt werden. Den Sozialdemokraten steht dann die Leitung von sechs Ministerien zu. Scholz bekräftigt, dass drei Posten an Frauen gehen sollen. »Es werden einige Minister darunter sein, die schon dabei sind und einige, die neu hinzukommen«, erklärt der Parteivorsitzende. Auf die Nachfrage, ob er dann das Finanzministerium übernehmen werde, folgt kein Dementi von Scholz. Er ist zudem für den Posten des Vizekanzlers im Gespräch und dürfte somit der mächtigste Sozialdemokrat in der Bundesregierung werden.
Prominente sozialdemokratische Gegner der Großen Koalition bekräftigten, trotz ihrer Niederlage beim Basisentscheid in der Partei bleiben zu wollen. »Aus der SPD tritt man nicht aus, aus der SPD stirbt man raus«, sagt Kevin Kühnert trotzig. Der Juso-Vorsitzende muss sein Statement im Anschluss an die Pressekonferenz mit Scholz und Nietan in der klirrenden Kälte vor der Parteizentrale vortragen. Kühnert trägt einen dicken Schal. Journalisten umringen ihn mit Kameras und Mikrofonen. Für den Jungsozialisten ist die Enttäuschung unter seinen Mitstreitern verständlich. »Trotzdem ist die Idee dieser Partei wichtiger als unsere Gefühlslage«, erklärt er.
Die Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des linken SPD-Forums DL 21, Hilde Mattheis, sieht auch positive Aspekte im Ergebnis des Mitgliederentscheids. Sie sagt im Gespräch mit »nd«, dass die Einigkeit unter den SPD-Mitgliedern, die mit Nein gestimmt haben, sehr groß gewesen sei. Bei denjenigen, die für den Koalitionsvertrag mit der Union gestimmt haben, habe es dagegen eine Bandbreite an Motivationen gegeben. »Mancher hat aus Angst mit Ja gestimmt, andere fanden den Koalitionsvertrag mit der Union inhaltlich gut«, sagt Mattheis.
Sie und andere linke Sozialdemokraten haben nun die von der Parteiführung versprochene programmatische Erneuerung der SPD im Blick. »Das Abstimmungsergebnis ist ein Auftrag für einen Erneuerungsprozess der SPD, bei dem alle mitgenommen werden müssen. Es darf hier keine Ausgrenzungen von denjenigen geben, die mit Nein gestimmt haben«, fordert Mattheis. Sie verlangt, dass die Meinungen der SPD-Mitglieder in einen transparenten Prozess einfließen und wertgeschätzt werden sollten. Hierfür müssten Basiskonferenzen abgehalten und Onlineangebote unterbreitet werden. Kühnert erklärt, dass die Jusos »die Garanten dieses Erneuerungsprozesses sein« wollen und auch »der Regierung auf die Finger schauen« werden.
Eine deutliche Warnung spricht der Dortmunder Bundestagsabgeordnete Marco Bülow in einer Mitteilung aus. »Das Versprechen der Erneuerung, welches wir schon so häufig gehört haben, darf diesmal kein Lippenbekenntnis bleiben. Ansonsten droht die SPD bei den nächsten Wahlen unterzugehen«, befürchtet Bülow. Auf Nachfrage des »nd« betont der Parlamentarier, dass er erwarte, dass die SPD-Führung künftig Positionen der Partei vertreten werde, auch wenn diese der Regierungspolitik der Großen Koalition widersprechen. »Das ist bisher vernachlässigt worden«, kritisiert Bülow. Stattdessen hätten die Führung der SPD und die Bundestagsfraktion in der Vergangenheit eins zu eins das vertreten, was die Bundesregierung gemacht habe. Widerworte seien dabei intern nicht geduldet worden. »Neben der Partei müsste auch die Fraktion eine viel souveränere Rolle spielen, wenn man die SPD nicht nur als Anhängsel der Union sehen möchte«, merkt Bülow an.
Er fordert seine Partei dazu auf, dass sie die Gerechtigkeitsfrage zum Hauptthema machen sollte. Denn die Ungleichheit manifestiere sich trotz des großen Reichtums in diesem Land. »Die Große Koalition hat hier komplett versagt«, konstatiert der Bundestagsabgeordnete.
Eine zentrale Rolle beim Erneuerungsprozess der SPD soll Andrea Nahles spielen. Ihre Wahl zur neuen Parteivorsitzenden ist am 22. April auf einem Sonderparteitag in Wiesbaden geplant. Dann soll sie Olaf Scholz ablösen, der ohnehin nicht längerfristig Vorsitzender bleiben will. Allerdings ist fraglich, ob Nahles für den Erneuerungsprozess, wie ihn sich die linken Sozialdemokraten wünschen, die richtige Person sein wird. Sie führt nämlich zugleich als Vorsitzende die Bundestagsfraktion. Innerhalb der SPD-Fraktion hatte es in der vergangenen Legislaturperiode eine ganze Reihe von Meinungsverschiedenheiten gegeben. Beispiele hierfür waren die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, diverse Auslandseinsätze der Bundeswehr und die Verschärfungen des Asylrechts. In allen Fällen unterstützten die sozialdemokratischen Abgeordneten letztlich mehrheitlich die Regierungspolitik. Allerdings gab es auch immer einige sogenannte Abweichler. So stimmten etwa 30 Bundestagsabgeordnete der SPD gegen das sogenannte Asylpaket II der Großen Koalition, das unter anderem beschleunigte Verfahren in »besonderen Aufnahmeeinrichtungen« für die Betroffenen zur Folge hatte.
In den nächsten Monaten dürften weitere Streitpunkte hinzukommen. Es ist zu erwarten, dass Nahles dann, obwohl sie nicht Mitglied des Kabinetts sein wird, als Fraktionschefin die Regierungsposition unterstützen und diese Haltung auch von ihren Abgeordneten einfordern wird, anstatt eine eigenständige Haltung der SPD zu formulieren.
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