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- Antifa in Ostdeutschland
Gemeinsam gegen Rechts?
Das schwierige Verhältnis zwischen Antifa-Gruppen und der Zivilgesellschaft
Die Szene oder vielmehr das rechte Milieu umfasst rechte Parteien, neonazistische Kameradschaften, Vereine, Initiativen und nicht zuletzt ein mehr oder weniger offenes Bündnis mit anderen Kräften, die von konservativem Milieu über Polizei und Justiz bis hin zum Verfassungsschutz reichen. Umklammert wird dieses unheimliche Bündnis aus einem rassistischen und nationalistischen Normalzustand, der in vielen Köpfen beheimatet ist. Linke Gruppen gaben diesem Erscheinungsbild einen treffenden Titel: rechter Konsens.
Aus dem Milieu der DDR-Friedens- und Bürger_innenbewegung, der Umweltinitiativen, der Punkszene und der Hausbesetzer_innenszene entstand in den 90er Jahren ebenso eine Szene von antifaschistischen Gruppen. Gleichzeitig entstand vor allem in den größeren Städten eine Zivilgesellschaft, bestehend aus Vereinen, Verbänden, Initiativen und losen Zusammenschlüssen. Einen ersten Aufwind erfuhr diese einerseits durch öffentlichkeitswirksame Proteste gegen Neonaziaufmärsche wie beispielsweise 1998 in Leipzig und andererseits durch das Auflegen staatlicher Förderprogramme Mitte der 90er Jahre.
Viele Gemeinden, Kommunen und Stadtteile in den Großstädten waren durch den beschriebenen rechten Konsens geprägt. Linkes oder antifaschistisches Engagement fand oft schwer Akzeptanz. Antifa-Gruppen und Zivilgesellschaft standen vor der Herausforderung, einen Umgang mit rechtem Dominanzstreben zu finden. Gleichzeitig galt es, vor allem auf der Seite von antifaschistischen Gruppen, eigene Akzente zu setzen. Das Verhältnis beider Akteur_innen war von Beginn an wechselhaft, konfliktbehaftet und verlief dynamisch. Während Antifa-Gruppen in den Großstädten häufig stark genug waren, um als eigenständige politische Akteure zu wirken, waren die Gruppen oder vielmehr Netzwerke von Einzelpersonen in den ländlichen Gegenden häufig in größerem Maß von einer Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft abhängig.
Unabhängig von Klein- oder Großstadt entstanden in den 90er und 2000er Jahren überall dort »Bündnisse gegen Rechts«, wo Neonazi-Demonstrationen stattfanden oder rechte Akteur_innen durch massives Auftreten auffielen. Diese Bündnisse waren und sind Spielräume, um das gemeinsame Agieren von Antifa und Zivilgesellschaft zu erproben, damit zu scheitern oder erfolgreich zu sein.
Mit Zivilgesellschaft soll eine Sammlung überwiegend nicht-staatlicher Organisationen, Personen-Netzwerke, Initiativen und Zusammenhänge gemeint sein, die sich im kommunalen oder ländlichen Raum politisch betätigen und insbesondere im Bereich der Anti-Rechts- oder Anti-Nazi-Arbeit aktiv sind. Traditionell bilden sich zivilgesellschaftliche Gruppen aus kirchlichen Organisationen, Wohlfahrtsorganisationen, Gewerkschaften, Vereinen und Verbänden der sozialen Arbeit sowie dem Milieu der Musik- und Kulturschaffenden. Zusätzlich werden sie durch politische Akteur_innen, in der Regel aus Parteien, unterstützt. Besonderen Ausdruck finden zivilgesellschaftliche Aktivitäten in netzwerkartigen Strukturen oder temporären Bündnissen, die sich entweder zu einem bestimmten politischen Zweck oder im Kontext von Kommunal- und Stadtteilpolitik zusammenfinden.
Mit dem »Aufstand der Anständigen« und der daraufhin einsetzenden staatlichen Förderpolitik manifestierte sich die Zivilgesellschaft und baute feste Strukturen wie beispielsweise eine professionelle Beratung gegen Rechtsextremismus und eine Beratung für Betroffene rechter Gewalt auf. Während die Zivilgesellschaft vor allem in Großstädten ein dichtes Netz bildete, hat sie es bis heute in den ländlichen Gebieten Ostdeutschlands schwer, Fuß zu fassen. Häufig gibt es nur vereinzelt entsprechende Strukturen, die wiederum einen harten Kampf um ihre Existenz führen.
Eine weitere Säule der Zivilgesellschaft sind Landtags- oder Bundestagsabgeordnete der Parteien DIE LINKE, B’90/Die Grünen und SPD. Sie verfügen häufig über Möglichkeiten, zivilgesellschaftliche Strukturen dauerhaft auszubauen. Anders als in Westdeutschland war die Zivilgesellschaft im Osten lange durch einen Mangel an migrantischen Organisationen geprägt. Nur langsam entstanden auch hier Gruppen, Netzwerke und Strukturen, die von Migrant_innen getragen wurden. In vielen Regionen Ostdeutschlands fehlen sie bis heute.
Mit dem Begriff »Antifa« oder »Antifa-Gruppen« sind autonome oder halbformelle Zusammenhänge gemeint, die sich entweder lokal oder überregional gegen rechte, neonazistische Kräfte organisieren und die den rechten Konsens bekämpfen. Anders als die Zivilgesellschaft entstanden diese vor allem aus einer linken oder links-alternativen Jugend-Subkultur, beispielsweise der Punkbewegung und der Hausbesetzer_innenbewegung der ehemaligen DDR. Hinter dem Konzept »Antifa« stand die Überzeugung, dass der Kampf gegen Neonazis untrennbar verbunden sei mit dem Kampf gegen staatlichen Rassismus, Nationalismus und polizeiliche Repression. »Antifa« ist aber immer auch ein Konzept gewesen, das vor allem im Kontext von Demonstrationen und Aktionen Anwendung fand. Symbolisch dafür steht das Tragen und Zeigen der »Antifa-Fahne«, die ihren Ursprung in der Weimarer Republik hat. Die Fahne ist als Symbol des antifaschistischen Kampfes bis weit in das sozialdemokratische, gewerkschaftliche Lager akzeptiert.
Antifaschistische Aktionskonzepte fanden und finden ebenso bei vielen Menschen Gefallen. Zu den bekanntesten Formen gehören offensive Gegendemonstrationen zu Naziaufmärschen oder versuchte Massenblockaden. Antifa-Gruppen definieren bewusst den Aktionsraum eigenständig und orientieren sich dabei weniger an geltenden gesetzlichen Bestimmungen wie beispielsweise zivilgesellschaftliche Gruppen. Antifa-Gruppen enden zudem mit ihrer Kritik an Neonazis oder Rassismus nicht bei offensichtlichen Vertreter_innen rechter Ideologie. Besonders in den Bereichen der Migrationspolitik, der Sicherheitspolitik oder der Kritik am Kapitalismus treten Antifa-Gruppen radikaler als zivilgesellschaftliche Gruppen auf. Sie orientieren sich stärker an linksradikalen Konzepten, wie beispielsweise einer klassenlosen, herrschaftsfreien Gesellschaft und zielen auf eine internationale oder anti-nationale Solidarität.
Insbesondere die aus Antifa-Gruppen propagierte Kritik am Staat und dessen Repräsentanten der Polizei ist für die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteur_innen eine Herausforderung. Weiterhin ist für viele antifaschistische Gruppen das Anwenden von Gewalt (Militanz) zur Abwehr rechter Aktivitäten ein akzeptiertes Mittel. Zugleich ist dies aber auch Gegenstand antifaschistischer Debatten und Diskurse, aus denen immer wieder hervorging, dass es keine unumstrittene Militanz in den Antifa-Gruppen gibt. Eines der bekanntesten Konzepte ist der antifaschistische Selbstschutz, beispielsweise wenn es zu Attacken von Neonazis auf Szene-Treffpunkte oder Flüchtlingsunterkünfte kam.
Auf Grundlage der Beschreibung der kontextualen Bedingungen, unter denen es zur Zusammenarbeit zwischen Antifa-Gruppen und Zivilgesellschaft kommt, werden im Folgenden drei Thesen entworfen, die deren Verhältnis beschreiben.
1. Die Erfahrungen der Menschen in den ostdeutschen Kommunen und Räumen in den 90er Jahren sind vielerorts von starken rechten und neonazistischen Kräften geprägt. Wahlergebnisse rechter Parteien, Aufmärsche rechter Kameradschaften, Gewalt und Bedrohung gegen nicht-rechte Menschen und Migrant_innen sowie alltagsrassistische Einstellungen und Verhalten der Mehrheitsgesellschaft sind Indikatoren eines, von manchen Antifa-Gruppen umschriebenen rechten Konsenses der Gesellschaft.
2. Mit dem Ziel rechte und neonazistische Demonstrationen und Aufmärsche zu verhindern oder diesen wenigstens etwas entgegenzusetzen, entstehen in vielen Städten »Bündnisse gegen Rechts« oder vergleichbare Zusammenhänge. In diesen Bündnissen treffen verschiedene Akteur_innen der Zivilgesellschaft und der Antifa-Gruppen aufeinander und arbeiten konstruktiv zusammen. Dies könnte man auch als eine Form der zweckgebundenen oder zwanghaften Zusammenarbeit beschreiben.
3. Während zivilgesellschaftliche Akteur_innen häufig auf eine praktische und realpolitische Veränderung im Nahraum abzielen, das kann z.B. heißen, die Unterbringung von Geflüchteten im eigenen Ort zu verbessern, zielen Antifa-Gruppen stets auf eine Verknüpfung kommunaler beziehungsweise nahräumlicher Ereignisse mit gesellschaftspolitischen und utopischen Gedanken. Dies kann beispielsweise heißen, die Unterbringung der Geflüchteten im eigenen Ort mit einer Forderung nach einer radikal anderen Asyl- und Migrationspolitik zu verbinden. Hierin liegt letztendlich eine Ursache des widersprüchlichen Zusammenarbeitens beider Akteur_innen.
Ebenso nicht vergessen werden darf, dass staatliche Akteur_innen, vor allem Sicherheitspolitiker_innen, Geheimdienste und Sicherheitsorgane, viel daran setzen, die Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und Antifa-Gruppen zu sabotieren. Antifaschistisches Engagement fällt nach dem Verständnis vor allem konservativer Politiker_innen unter den Duktus des Extremismus. Regelmäßig erscheinen Berichte oder Publikationen, die davor warnen »die Antifa« mit an den Tisch zu setzen. In den vergangenen Jahren kam es in den meisten »Bündnissen gegen Rechts« zu entsprechenden Folge-Diskussionen, die nicht selten damit endeten, dass die örtliche Anti-Rechts-Szene geschwächt wurde. Auch dies ist eine wichtige Grundlage zum Verständnis des Verhältnisses. (...)
Vor dem Hintergrund eines starken Dominanzstrebens von Neonazis, rechten Akteur_innen und konservativer Politik lässt sich eine sukzessive Zusammenarbeit zwischen Antifa und Zivilgesellschaft beobachten, die dann stark und erfolgreich ist, wenn sie sich auf die Stärken beider Akteur_innen konzentriert.
Es kann davon ausgegangen werden, dass ein wahrgenommener rechter Konsens, beispielsweise ein weit verbreiteter Alltagsrassismus, untätige oder mit Neonazis sympathisierende Behörden sowie starke Neonazi-Kräfte, dazu führen, dass sowohl Zivilgesellschaft als auch Antifa-Gruppen die Notwendigkeit zum gemeinsamen Handeln erkennen. Voraussetzung dafür ist aber, dass sich die zivilgesellschaftlichen Gruppen eindeutig von rassistischen oder nationalistischen Positionen der anderen Gruppen und Bewohner_innen distanzieren.
Antifa und Zivilgesellschaft nutzen zum Teil unterschiedliche Methoden und Konzepte. Konzentrieren sich aber beide auf den Nutzen für die Erreichung gemeinsamer Ziele, muss dies nicht zwangsläufig konfliktbehaftet verlaufen. Antifa-Gruppen beobachten meist detailliert die Aktivitäten der Neonazis und Rechten, woraus wertvolle Informationen entstehen, die für die Zivilgesellschaft wichtig sind. Zudem haben sie insbesondere unter jungen Menschen ein erhebliches Mobilisierungspotenzial, das über den städtischen Raum hinausgeht. Sie verfügen als nicht-staatliche und non-formale Organisationen über die Kompetenz und Fähigkeit, staatliches Handeln zu kritisieren, ohne dass automatisch Personen dafür haften. Sie ermöglichen somit eine Diskurserweiterung.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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