Mütterlektionen

Wie Frauen an der Vergeschlechtlichung der Kinderbetreuungsarbeit mitwirken - und was Männer daraus lernen können.

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 7 Min.

Ein fachgerechtes Zwiebeln und Kneten seines Bauchs, Rückens und der Extremitäten werde den Winzling, so hatte es geheißen, umgehend tief greifend entspannen. Sein Appetit werde gestärkt, abends werde er sanft schlummern und überdies längerfristig zu einem glücklichen Mitglied der Gesellschaft heranwachsen. Besonders bezüglich des Nachtschlafs gab es Bedarf bei dem Zehn-Wochen-Wurm, sodass sich die Eltern umgehend anmeldeten zur »Babymassage nach Leboyer«. Und es ist im Allgemeinen auch gar nichts zu sagen gegen dieses »Ritual der Zärtlichkeit«, das laut dem sicherlich hochkompetenten Fachportal »Eltern.de« nicht nur dem Kinde, sondern auch den Umgangspersonen in vielfältiger Weise gut tut. Geschadet zumindest hat es dem Säugling nicht - und dem Papa zu einer gesellschaftspolitisch relevanten Erfahrung verholfen, von der hier erzählt werden soll.

Es war nämlich so, dass dem Würmchen das Knet- und Zwiebelprogramm dann offenbar doch nicht stets so ganzheitlich knorke vorkam wie es der Prospekt versprach. Bereits beim zweiten Termin äußerte es sehr deutlich seinen Unmut und ging gleich nach dem Entkleiden zum offenen Widerstand über. Und kaum machte es eine Pause beim Zappeln und Schreien, drang schon die strenge Stimme der Kursleiterin durch den Raum: »Dann wolln wir mal sehen, wie das der Papa so macht.«

Den frischgebackenen Papa, als einziger seiner Art im Raum, machte schon diese Intervention nicht sicherer. Dass ihm die Dame sodann mit einem gurrenden »dann komm mal zu mir« das Kind aus dem Arm nahm und es ihm, nachdem sich der Zwerg auch in ihren routinierten Händen nicht beruhigte, mit der Bemerkung zurückgab, so ein kleines Wesen brauche ja ganz viel Zuneigung, verbesserte die Lage auch nicht. Vielmehr kam, was kommen musste: Das Kleine setzte unter fortgesetztem Kriegsgeheul den Stoffwechsel in Gang. Und während der Papa, ohnehin beschämt durch die Befleckung der Wohlfühlmatte, die Szene im schweißtreibend überheizten Raum unter Kontrolle zu bringen versuchte, gab es weiteren fachkundigen Rat: So ein Kleinkind sei sehr empfindlich für die Stimmung der Erwachsenen. Man müsse daran denken, dass es auch tagsüber viel Schlaf brauche, schließlich sei es noch gar nicht recht angekommen auf der Welt. Und Fläschchen statt Brust sei auch nicht immer befriedigend!

Der Papa schlich schließlich einigermaßen gedemütigt davon. Bei weiteren Besuchen in diesem Kursus fühlte er sich unsicher, was sich - weil das mit der telepathischen Gefühlsübertragung von den Großen auf die Kleinen ja irgendwie zu stimmen scheint - auch prompt darin äußerte, dass sich das sonst so problemlose Würmchen just an diesen Terminen zuverlässig als eher schwierig erwies. Dies wiederum trug dem Papa dann weitere Lektionen ein, wenn auch nicht immer derart geballt.

Hätte nun jene Kursleiterin auch mit einer Frau auf diese Weise geredet? Gebrüll und Verdauungsvorkommnisse gab es ja nicht selten in diesen Stunden, doch in den Genuss einer allgemeinen Grundsatzbelehrung vor versammelter Gruppe kamen Mütter dennoch nicht.

Und jene Babyknetexpertin blieb nicht die einzige Frau, die in den Folgemonaten einen gewissen Hang zu übergriffiger Hilfestellung an den Tag legte. Da gibt es Passantinnen, die zuerst eigens ihr Fahrrad stoppen, um mit dem Kind im Wagen zu schäkern, und die sich dann doch nicht die Frage verkneifen können, ob es nicht etwas zu dick oder zu dünn gekleidet oder ob seine Haut ausreichend vor der Sonne geschützt sei? Da gibt es den unverlangten Hinweis, das im Buggy quengelnde Kleine wolle wohl schlafen, doch müsse man dann die Rückenlehne runterklappen - obwohl die aufrechte Position vielleicht tatsächlich den Husten lindern soll, der es nicht einschlafen lässt. Isst es am Spielplatzrand sein Gläschen nicht, soll der Papa wahlweise über festere Nahrung oder über Selbstkochbrei nachdenken: Aber das macht ja auch Arbeit, nicht wahr? Stößt es sich beim Krabbeln, gibt es vielsagende Blicke von Müttern anderer Kinder. Und längst nicht in allen öffentlichen oder gastronomischen Frauentoiletten, in denen sich nun mal fast immer die einschlägige Infrastruktur befindet, sind Männer wohlgelitten - da können sie noch so mit der Windel wedeln.

Um nicht zu überziehen: Die Sorte von Mutter, die unter stummem Deuten auf die Stillbluse einfach in den »Vätertreff« platzt, ist eher selten. Die meisten Frauen, ob mit oder ohne Kindererfahrung, finden es offenbar süß, Männer beim Füttern oder Wickeln zu sehen. Und jene ungefragten Belehrungen gibt es oft mit einem Lächeln, das zuweilen auf eine bestimmte Weise flirtet.

Doch insgesamt zeigt sich ein Muster. Es gibt bekanntlich viele Männer, die dazu neigen, Frauen monologisierend die Welt zu erklären, als ob diese per se keine Ahnung hätten. Analog zu diesem »Mensplaining« gibt es aber auch ein »Mumsplaining«: eine soziale Standardsituation, in der Frauen - zuweilen selbst dann, wenn sie gar keine Kinder haben - Männern implizit oder ausdrücklich die Kleinkindkompetenz absprechen.

Wie Mensplaining ist Mumsplaining keine bewusste Operation. Es ist der weibliche »Habitus«, der solche Redeweisen hervorbringt. Im unreflektierten, zur »zweiten Haut« gewordenen Resultat einer vergeschlechtlichten Erziehung und Erfahrung stellen Frauen unwillkürlich eine Kausalität her zwischen der Allerweltsbeobachtung eines schreienden Kindes und, in diesem Fall, dem Geschlecht des Papas.

Akzeptiert nun der Belehrte ebenso unwillkürlich diese hierarchische Sprechsituation - wie jener Papa im Massagekurs, den die Ermahnungen so unsicher machten, dass sich das Vorurteil über seine Inkompetenz quasi selbst bewahrheitete - lässt sich mit einem weiteren Ausdruck des Soziologen Pierre Bourdieu von »symbolischer Gewalt« sprechen. Dann tendiert nämlich die autoritativ angesprochene Person dazu, »gegenüber sich selbst den herrschenden Standpunkt einzunehmen«.

Der Ausdruck - einer der Schlüsselbegriffe in Bourdieus Soziologie - ist weniger drastisch gemeint, als er klingen mag. Symbolische Gewalt ist sanft, sie stellt sich zwischen den Beteiligten her, sie geht nicht primär von einem »bösen Willen« aus, der sich als bewusste Intention beschreiben ließe. Bourdieu kommt es vor allem auf diesen Mechanismus an, der gerade deswegen so nachhaltig wirkt, weil diese Situationen »natürlich« wirken. Weniger geht es ihm um »Täter« und »Opfer«. Dies ist ein Unterschied zur jüngeren amerikanischen Diskussion um »Intersektionalität«, die solche übergriffigen Haltungen »Mikroaggressionen« nennen würde und stark zwischen »Angreifern« und »Überlebenden« polarisiert - vielleicht auch, weil diese Debatten gewissermaßen juristischer Herkunft sind.

Doch wo wir das Thema schon ansprechen: Lange Ausführungen über symbolische Gewalt gegen Männer mögen nicht nur kurz nach dem Frauentag zunächst befremden. Und tatsächlich wäre es mehr als peinlich, quasi nach dem ersten Schnuppern an der Windel eine Art Aufrechnungspose einzunehmen. Darum geht es hier nicht, wenn angesprochen wird, wie der weibliche Habitus im Feld der Kinderpflegearbeit seine Überlegenheit reklamiert. Ganz im Gegenteil liegt in dieser Operation der »zweiten Haut« ja eine unwillkürliche Mitwirkung an der Vergeschlechtlichung der Babyhandhabung - und liegt darin in einer allgemeineren Sicht ein Beitrag zur Subordination von Frauen.

Indem es nämlich mit Nachdruck einen Bereich reklamiert, dessen Bestimmung als genuin weiblich Bedingung einer patriarchalischen Gesellschaft ist, bringt das Mumsplaining einen weiteren subtilen Herrschaftsmechanismus zur Wirkung, den Bourdieu »Amor Fati« nennt: Die Ordnung ist stabil, solange den Menschen eine »Liebe zum (sozialen) Schicksal« wie selbstverständlich innewohnt.

Obwohl also in konkreten Situationen von Mumsplaining die nolens volens angeherrschten Männer die Dummen sind, sind diese habituellen Redeweisen in allgemeinerem Sinn symbolische Gewalt einzelner gegen alle Frauen. Dies zumindest war die Folgerung, mit der sich jener zurechtgestutzte Papa bei seinen Feldstudien in Sachen Babymassage aufzuheitern pflegte. Zu diesem Gedanken kommen zu können ist, wenn das denn nötig sein sollte, ein weiteres Argument für Männer, sich intensiv am Aufziehen der Kleinen zu beteiligen: Die Position hinter dem Kinderwagen bewirkt einen Verfremdungseffekt, durch den man vieles klarer sieht - zum Beispiel auch das eigene Verhalten in anderen Lebenslagen.

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