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Auf dem Mekong bricht sich Laternenlicht ...
Eine Ausstellung in Berlin erinnert an den Sieg in Vietnam vor 50 Jahren und die Solidarität der Völker
Gewiss sind noch so manche einstige DDR-Bürger und -Bürgerinnen im Besitz dieser »Reliquien«: silbern glänzende Kämme und Brieföffner, gestanzt aus dem Blech von am Himmel über Vietnam abgeschossenen US-Bombern. Geschenke der Dankbarkeit für erwiesene Solidarität. Aus dem Kriegsgerät, das die Amerikaner während ihres grausamen, verheerenden Krieges in Vietnam hinterließen – Granaten, Bomben, Geschützlafetten, Stahlhelme –, wussten die Vietnamesen nützliche Alltagsgegenstände zu fertigen: Kochtöpfe und Löffel, Blechtassen und Kannen ... Und eben auch Kämme und Brieföffner.
Auf dem Eingangsplakat der zum 75. Jahrestag des Sieges des vietnamesischen Volkes über ein tyrannisches Regime in Saigon und dessen mächtigen Waffengehilfen aus Übersee gestalteten Ausstellung in Berlin ist eine junge Frau zu sehen, die aus einem Fluss die Tragfläche eines Flugzeugs der US Air Force zieht. Daneben ein Zitat von Ho Chi Minh: »Unsere Flüsse, unsere Berge, unsere Menschen werden immer bleiben. Ist der Yankee geschlagen, erbauen wir das Land zehnmal schöner als je.« Es war nicht nur sein Traum. Und er erfüllte sich.
Nun gut, die heutige Situation in der Sozialistischen Republik Vietnam thematisiert die Ausstellung nicht. Dass es an vielem mangelt und nicht in allen gesellschaftlichen Bereichen zum Besten steht, hat aber auch teils noch etwas mit dem über 150-jährigem Kolonialjoch und dem Erbe eines 30-jährigen Krieges zu tun, mit dem die Kolonialmacht Frankreich und hernach die US-Invasoren Land und Volk überzogen.
Die von der Kinderbuchautorin Claudia Opitz und dem Grafiker Sebastian Köpke, ein erfahrenes Kuratorenteam, gemeinsam mit dem »nd«-Redakteur Peter Steiniger gestaltete Ausstellung beginnt mit der Hybris einer Großmacht. »Wir sollten Nordvietnam den Krieg erklären. Dann könnten wir bis Mittag das ganze Land einebnen und wären zum Abendessen wieder zu Hause«, tönte der Westernheld Ronald Reagan 1965, als er noch in Hollywood in Vollbeschäftigung war (1981 zog er ins Weiße Haus). Der Mann, dessen Name sich vor allem mit dem schmutzigen Krieg der USA in Vietnam verbindet, »Verteidigungsminister« Robert McNamara, gestand später: »Wir haben unterschätzt, welche Kraft das Nationalbewusstsein einem Volk verleiht, für seine Überzeugungen und Werte zu kämpfen und zu sterben.« Interessant insbesondere sein Zusatz: »Und noch nicht einmal heute tragen wir dieser Tatsache in vielen Teilen der Welt Rechnung.«
Doch zurück zur Ausstellung, die diese Woche in Berlin eröffnet wird. Sie bietet einen Rückblick in die Vorgeschichte, die Eroberung und Eingliederung Indochinas, heute Vietnam, Laos und Kambodscha, im 19. Jahrhundert ins französische Kolonialreich. Katholische Missionare hatten wie so oft den Weg bereitet. 1883 war das Kaiserreich Vietnam vollständig unterworfen. »Die lokale Elite kollaboriert mit der Kolonialverwaltung, welche das Land rücksichtslos ausbeutet. Kohle, Kautschuk und Reis sind die wichtigsten Exportgüter der Kronkolonie«, liest man auf einer Tafel. Informiert wird aber auch darüber, dass aus Frankreich Ideen von Freiheit und Gleichheit nach Vietnam drangen und die dortigen Freiheitskämpfer inspirierten. 1930 wurde ein erster großer Aufstand der jungen nationalen Unabhängigkeitsbewegung blutig niedergeschlagen. Sie formierte sich neu unter der Führung von Ho Chi Minh, Sohn eines konfuzianischen Gelehrten, in Frankreich und der Sowjetunion politisch sensibilisiert, Mitbegründer der KP Vietnam.
Im Zweiten Weltkrieg wurde das Land von Hitlers Verbündetem Japan okkupiert. »Mit dem Versprechen der Unabhängigkeit rufen die USA die Vietnamesen zum Kampf gegen die japanischen Besatzer auf«, liest man in der Ausstellung. 1941 bildete Ho Chi Minh die Viêt Minh, die »Liga für die Unabhängigkeit Vietnams«, eine Art Volksfront. Nach der Kapitulation der Achsenmacht Japan am 2. September 1945 glaubte man in Paris, Indochina erneut unter die Fuchtel bringen zu können. Der Grande Seigneur des deutsch-französischen Journalismus Peter Scholl-Latour, der dem antisemitischen Wahn der Nazis als – im Sinne der Nürnberger Rassegesetze – »Mischling ersten Grades« entgangen war, hatte sich nach der Befreiung vom Faschismus freiwillig zur französischen Armee gemeldet und war mit einer Fallschirmjägereinheit in Indochina gelandet. Er wird in der Ausstellung zitiert: »Im Winter 45/46 bin ich mit den französischen Truppen in Saigon an Land gegangen. Was mich damals frappierte, war die Präsenz von roten Fahnen mit dem gelben Stern. Und ich spürte zu diesem Zeitpunkt, dass die kommunistische Revolution auf den asiatischen Kontinent und Südostasien übergriff. Ein gewaltiges historisches Phänomen.« So Scholl-Latour 1987. Auf seine Legionärszeit war er nicht stolz.
Am 2. September 1945 rief Ho Chi Minh in Hanoi die Demokratische Republik Vietnam aus. Frankreich wollte diese Eigenmächtigkeit nicht dulden, erlitt aber im Mai 1954 in der Schlacht bei Ðiên Biên Phu die entscheidende Niederlage. Auf der Genfer Indochina-Konferenz im Juli des Jahres wurde das Land geteilt, der 17. Breitengrad galt als provisorische Grenze bis zu Wahlen in ganz Vietnam. Die von der US-Administration gestützte Militärdiktatur im Süden verweigerte sich diesen. »Washington und Saigon wissen, dass der Sieger Hô Chí Minh hieße, der Führer des Befreiungskampfes gegen Japaner und Franzosen«, heißt es in der Ausstellung.
Ausgerechnet unter dem als Entspannungspolitiker gefeierten US-Präsidenten John F. Kennedy wurde ein Bürgerkrieg angezettelt, der sich zu einem geopolitischen Stellvertreterkrieg ausweitete. Die USA griffen 1964 direkt in Vietnam ein. Als Vorwand diente der sogenannte Zwischenfall im Golf von Tonking am 2. August: Nordvietnamesische Schnellboote sollen die USS »Maddox« angegriffen haben. »Der Angriff ist fingiert«, so die Ausstellung. Präsident Lyndon B. Johnson gab grünes Licht für die direkte Intervention. Bis 1968 stieg die Zahl der US-Soldaten in Vietnam auf über eine halbe Million.
Der Krieg griff über auf die Nachbarländer Laos und Kambodscha, durch die sich auch der »Hô-Chí-Minh-Pfad« schlängelte, die Überlebensader aus Nordvietnam für die südvietnamesischen Freiheitskämpfer, im Westen »Vietcong« genannt, im Osten unter dem Kürzel FNL (Front national de libération du Sud Viêt Nam), in der Ausstellung in englischer Transkription firmierend als NFL (National Liberation Front of South Vietnam). Die Guerilla-Taktik der südvietnamesischen Freiheitskämpfer zeitigte Erfolge. Johnson befahl verstärkte Luftangriffe. »Rolling Thunder« sollte Vietnam in die Steinzeit zurückbomben.
Am 31. Januar 1968 begann, völlig überraschend für die Amerikaner und ihre Vasallen, die Tet-Offensive der FNL. Befreiungskämpfer stießen bis zur US-Botschaft in Saigon vor. Die Offensive zum buddhistischen Neujahrsfest wird in der Ausstellung zu Recht als ein Wendepunkt im Vietnam-Krieg hervorgehoben. Auch, »weil sie erstmals reale Bilder des Krieges und der Lage vor die Kameras bringt«. Titelseiten von »Times«, »Newsweek«, »The Guardian« und auch des Hamburger Nachrichtenmagazins »Der Spiegel« bezeugen dies in der Ausstellung. US-Kriegsverbrechen werden angeprangert. Fotos von Massaker, Hinrichtungen, von verstümmelten und verbrannten Menschenleibern, darunter Kinder, gehen um die Welt.
Dankenswerterweise wird hier auch an die DDR-Dokumentarfilmer Walter Heynowski und Gerhard Scheumann erinnert. Ihre vierteilige, vor Ort gedrehte Dokumentation »Piloten im Pyjama« sorgte international für Aufsehen, entlarvte US-amerikanische Propagandalügen. Thomas Billhardt ist ebenfalls präsent mit seinen ikonografischen Aufnahmen aus dem Vietnam-Krieg, »die sich in das kollektive Bildgedächtnis der Welt einbrennen«. »Mit seinen Fotos sucht er nicht den effektvollen Horror des Krieges. Vielmehr ist er bestrebt, in den Gesichtern der Menschen zu lesen und ihnen auch im größten Leid einen Ausdruck der Würde zu verleihen«, wird der im Januar dieses Jahres verstorbene DDR-Fotograf gewürdigt.
Weltweit nimmt der Protest gegen den Vietnam-Krieg zu. Beim Woodstock-Festival im Sommer 1969 unterlegt Jimi Hendrix seine Version der US-Nationalhymne mit Kriegslärm. Ihm folgt Joan Baez, die für ihr Album »Where are you now, my son« extra nach Hanoi reiste. Und Pete Seeger fordert: »Bring them home.« Immer mehr junge US-Amerikaner verbrennen ihre Einberufungsbefehle. Die USA werden von machtvollen Antikriegsdemonstrationen erschüttert. Die Moral der Truppe in Vietnam sinkt. GIs verweigern Befehle. Che Guevara fordert 1966: »Schafft ein, zwei, viele Vietnams …« Der westdeutsche Liedermacher Dieter Süverkrüp prophezeit im selben Jahr: »Wenn dieser Morgen kommt und dieser Tag/ Da wird ein Lachen sein,/ ein großes Lachen sein ... Wenn dieser Morgen kommt und dieser Sieg.« Gesungen auch von der großen Brecht-Interpretin Gisela May.
Der Widerstand des vietnamesischen Volkes inspiriert allerorten die Befreiungsbewegungen und prägt die westeuropäische Jugendkultur und Studentenrevolten. Unvergessen die Bilder von den einander untergehakten, der geballten Ordnungsmacht entgegen hüpfenden Westberliner Studenten, angeführt von Rudi Dutschke, die freudig »Ho, Ho, Ho Chi Minh!« rufen. In der DDR, die Weltmeisterin hinsichtlich ihrer Solidaritätsbekundungen gewesen sein dürfte, intoniert der Oktoberklub ein Lied des US-amerikanischen Folksängers Jack Mitchell: »Auf dem Mekong bricht sich Laternenlicht/ Wo der Fluss sonst im Dunkeln lag./ Feuerwerk über den Städten/ Macht die Nacht zum Tag./ Das wird wie 8. Mai und/ Silvester auf einen Schlag./ Die Helden feiern ihren Sieg/ An diesem Freudentag.«
Es vergehen noch etliche blutige Jahre. Und es ist natürlich vor allem der aufopferungsvolle Kampf des vietnamesischen Volkes, der die USA schließlich an den Verhandlungstisch zwingt. Am 12. Mai 1968 beginnen in Paris die Gespräche zwischen Washington und Hanoi. Dessen ungeachtet ordnet US-Präsident Richard Nixon Ende 1972 mit den »Weihnachtsbombardements« die massivsten Angriffe auf Nordvietnam, vor allem auf Hanoi und Haiphong, an. Am 27. Januar 1973 kommt es in der französischen Hauptstadt zwar zur Unterzeichnung des »Abkommens über die Beendigung des Krieges und die Wiederherstellung des Friedens in Vietnam«, doch verstreichen noch einmal zwei Jahre, ehe der Sieg gefeiert werden kann. Die Frühjahrsoffensive der vietnamesischen Befreiungsarmeen 1975 erzwingt am 30. April die Kapitulation des Vasallenregimes in Saigon. Am 2. Juli 1976 wird das Land als Sozialistische Republik Vietnam wiedervereinigt.
Die Ausstellungsmacher präsentieren zum Schluss »Bittere Bilanzen«: 1,3 Millionen gefallene vietnamesische Soldaten, zirka zwei Millionen getötete Zivilisten und ungezählte Opfer, die noch Jahre später an den Folgen des Einsatzes von biochemischen Kampfmitteln, Napalm und Agent Orange starben. Das US-Militär verzeichnete mehr als 58 000 Gefallene, Zigtausende der 2,7 Millionen US-Vietnam-Veteranen blieben traumatisiert, wurden drogenabhängig und obdachlos. Die Zahl der Suizide überstieg laut den Kuratoren die der in Vietnam gestorbenen GIs.
Ein halbes Jahrhundert ist es her. Und doch noch gegenwärtig. Wunden bleiben. Und es wiederholt sich immer wieder. Die Bilder von den in den letzten Apriltagen 1975 sich vor der US-Botschaft in Saigon drängenden Menschenmassen, die hoffen, mit einem der im zehnminütigen Takt landenden und startenden US-Hubschrauber ausfliegen zu können, ähneln denen vom Flughafen in Kabul vor vier Jahren, als das Afghanistan-Abenteuer der USA und ihrer Verbündeten in einer schmählichen Niederlage endete.
»Vietnam 1975«, Eröffnung der Ausstellung am 30. April, 18.30 Uhr, Kino Babylon in Berlin.
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