»Ich bin laut, also bin ich«

Was Sie schon immer über einen Teil der Menschheit wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten

Manche behaupten, Jeff Bezos ließe hier seine übertriebene und daher unsichere Männlichkeit ins All schießen. Dabei will er doch bestimmt nur die Menschheit voranbringen und das geht nur mit Raketen, die aussehen wie Penisse.
Manche behaupten, Jeff Bezos ließe hier seine übertriebene und daher unsichere Männlichkeit ins All schießen. Dabei will er doch bestimmt nur die Menschheit voranbringen und das geht nur mit Raketen, die aussehen wie Penisse.

Sie sind überall. Sie sind in der Überzahl. Und man wird sie vorerst nicht loswerden. Sie rotten sich zu Gruppen zusammen und sprechen mit lauter Stimme. Um zu bekräftigen, was sie sagen oder meinen, erhöhen sie die Lautstärke. Selbst dann, wenn das, was sie sagen und meinen, vollkommen irrelevant ist (was nahezu ausschließlich der Fall ist). Ein anderes Mittel kennen sie nicht, wenn es darum geht, sich verbal mitzuteilen. Offenbar können sie weder allein noch still sein. Jedenfalls nicht länger als drei Minuten. Das wäre zu viel verlangt. Genau: Die Rede ist von Männern, jener Sorte Mensch, die ihre Bedeutung stark überschätzt, sich niemals in Frage stellt und selbst dann recht hat, wenn sie nicht recht hat.

Alles, was Männer im Alltag zueinander sagen, klingt wie Protzerei, als würden sie ihr Gegenüber übertrumpfen wollen: ich, ich, ich; du musst wissen, ich sag dir, hör mal, ich kenne mich da aus, ich muss es ja wissen, das glaubst du nicht; mein Auto, mein neues Tablet, mein Fußballverein, mein Aktienpaket, meine Freundin; mein Motor ist lauter als deiner, mein Smartphone-Display ist größer als deines, mein Penis auch. Ausnahmslos alles, inklusive anderen Menschen, betrachten sie als eine Art Verlängerung, Erweiterung oder Anhängsel von sich selbst. Viele halten sich einen Hund oder einen anderen Menschen, um ihm Befehle erteilen zu können. Dabei stehen sie breitbeinig da und machen Herrenmenschengesten. Sie nehmen sich selbst unverhältnismäßig wichtig. Sie strotzen vor Stolz auf die eigene Armseligkeit, die sie für ihre Individualität halten.

Sie machen schlechte Witze und lachen zu laut und über die falschen Dinge. Ein aggressives, alles überrollendes Bulldozerlachen. Wenn sie einen schlechten Witz gemacht haben, erwarten sie Bestätigung durch die anderen Männer, die auch keinen Humor haben und deshalb den Witz für so gut halten wie jenen schlechten, den sie selbst gleich zu erzählen beabsichtigen.

In öffentlichen Bädern ziehen sie hörbar ihren Nasenschleim in ihre Kehle, mischen ihn mit ihrem Speichel und spucken die gallertartige Masse dann geräuschvoll in den Abfluss der Dusche. Die Töne, die dabei entstehen, klingen ungut. Sie sind stark fixiert auf ihren Geschlechtsapparat, der an ihrer Körpermitte baumelt und dem sie übermäßige Bedeutung beimessen.

Sie meinen ständig, Dinge tun zu müssen, die sie für Männersachen halten: Bungee-Jumping und Wildwasser-Rafting; nackt um ein Feuer tanzen; mit bloßem Oberkörper auf einem Pferd reiten; Schwächere überfallen, demütigen und verprügeln. Häufig spielt auch das Bezwingen, Steuern und Handhaben phallusförmiger Objekte und Gegenstände eine große Rolle (Berge und Türme besteigen, auf einen Baum klettern, Kanufahren, eine Kanone abfeuern, das Genital in Öffnungen einführen).

Die gute Kolumne

Thomas Blum ist grundsätzlich nicht einverstanden mit der herrschenden sogenannten Realität. Vorerst wird er sie nicht ändern können, aber er kann sie zurechtweisen, sie ermahnen oder ihr, wenn es nötig wird, auch mal eins überziehen. Damit das Schlechte den Rückzug antritt. Wir sind mit seinem Kampf gegen die Realität solidarisch. Daher erscheint fortan montags an dieser Stelle »Die gute Kolumne«. Nur die beste Qualität für die besten Leser*innen! Die gesammelten Texte sind zu finden unter: dasnd.de/diegute

Sind sie zu einem Kollektiv zusammengeschweißt, was aufgrund ihrer Neigung zur Rudelbildung der Regelfall ist (Fußballstadion/Konzerthalle/Bierzelt etc.), werden die Lebensäußerungen meist aufs Wesentliche reduziert: Alkoholkonsum, Brüllen, Fäusterecken, Auf- und abhüpfen, Kratzen der eigenen Genitalien, Urinieren, Ausspucken von Schleim- und Speichelbatzen.

Neben der Glorifizierung von Stärke, Größe und Geschwindigkeit scheint es, nach allem, was man weiß, aber nach wie vor die Lautstärke zu sein, die eine besondere Faszination ausübt. Der Mann hat hauptsächlich das Interesse, auf seine Präsenz aufmerksam zu machen und Paarungsbereitschaft zu signalisieren, weswegen er nicht nur bei jeder sich bietenden Gelegenheit stimmgewaltig auf sich selbst verweist, sondern sich darüber hinaus mit Dingen umgibt oder welche mit sich führt, die Krach erzeugen: ein auf laut gestelltes Handy, eine Boombox, ein Motorrad, einen Monstertruck. »Ich bin laut, also bin ich.« Auf diese Art versichert der Mann sich seiner Existenz.

Allerdings ist vor Kurzem ein neues Problem aufgetreten: Elektroautos erzeugen beim Fahren nur begrenzt Geräusche. Doch mittlerweile hat die Marktwirtschaft hier Abhilfe geschaffen und Generatoren – sogenannte Soundbooster – entwickelt, die synthetische Motorengeräusche produzieren. So wird laut Hersteller »ein großvolumiger Motor simuliert« beziehungsweise ein »sehr gesteigerter Motor- und Auspuffsound« generiert, damit auch der E-Auto-Fahrer nicht auf seine Erektion verzichten muss, wenn sein Gefährt in Wallung kommt. Den »kraftvollen, satten« Knatterklang, der jedem echten Motormann Befriedigung verschafft, gibt’s auch in Stereo: »Neben dem Soundgenerator im Frontbereich wird ein weiterer Geräuscherzeuger im Heckbereich installiert. Hierdurch erlangt das Fahrzeug zusätzlich einen Sound einer sportlichen Auspuffanlage.«

Ich bin mir nicht sicher, ob es in einer besseren Zukunft nicht Nachhilfekurse für Männer geben sollte, in denen ihnen die Mindeststandards eines zivilisierten Verhaltens beigebracht werden.

Sicher ist jedenfalls, dass ein berühmt gewordenes Blaise-Pascal-Zitat auch dann noch die reine Wahrheit enthält, wenn man es minimal ändert: »Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass Männer nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.«

Ausnahmslos alles, inklusive anderen Menschen, betrachten sie als eine Art Verlängerung, Erweiterung oder Anhängsel von sich selbst.

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