Salud, Victor! Und adelante

Der Journalist und Publizist Victor Grossman wird an diesem Sonntag 90 Jahre alt

Es gab drei »Amis« in der DDR: Den Schauspieler und Sänger Dean Reed, der in den USA ob seiner Proteste gegen den Vietnamkrieg und die Rassendiskriminierung nicht mehr gelitten war, den kanadisch-stämmigen Folksinger Perry Friedman, der den Hootenanny-Club in Ostberlin mitgründete, aus dem der Oktoberklub erwuchs - und Victor Grossman, der berühmteste Deserteur aus der US-Army.

Eigentlich hieß er Stephen Wechsler, geboren am 11. März 1928 in New York City als Sohn eines Kunsthändlers und einer Bibliothekarin. Seine jüdischen Großeltern stammten aus Odessa und aus dem Baltikum. Mit 14 Lenzen trat er der Young Communist League bei, im Jahr der Befreiung Europas vom deutschen Faschismus wurde er Mitglied der KP der USA. Von 1945 bis 1949 studierte er an der exklusiven Harvard University Ökonomie und Gewerkschaftsgeschichte, sollte aber im Auftrag der Partei erst einmal in Betrieben die Arbeiter für die Sache der Arbeiter agitieren.

Es war ihm nicht vergönnt, ihn ereilte der Einberufungsbefehl. Auf der fernen koreanischen Halbinsel entbrannte ein Krieg, in dem die USA kräftig mitmischte. Dort sollte auch der junge Stephen Wechsler »verheizt« werden. Der dachte jedoch nicht daran, anderen Menschen den Tod zu bringen oder gar selbst zu sterben - für was, für wen? Er büxte aus, verließ seine in Bayern stationierte Einheit, schwamm bei Linz über die Donau in die damals noch sowjetisch besetzte Zone Österreichs und wurde weiter »delegiert« in die Tschechoslowakei, wo man ihn erst einmal auf Herz und Nieren prüfte, um sich keinen »Agenten« einzuhandeln. Er überzeugte, er hatte ja auch nichts zu verbergen. Er war ein Grenzgänger aus Gewissen.

So kam er schließlich in die DDR, wo er zu seinem Schutz und zum Schutz seiner in den USA lebenden Familie umgetauft wurde. Bis Anfang der 1990er Jahre konnte Grossman auf Grund der noch gültigen Fahndung nach dem Fahnenflüchtigen von 1950 nicht nicht in sein Geburtsland reisen. Seine Heimat war eh die DDR. Hier arbeitete er zunächst im VEB Waggonbau Bautzen und studierte dann Journalistik an der Karl-Marx-Universität (KMU) Leipzig. Er rühmt sich gern, der einzige Harvard-Absolvent mit einem Diplom der KMU zu sein. Er arbeitete für den »German Democratic Report« des von der britischen Agentur Reuter »desertierten« John Peet und bei Radio Berlin International, war Leiter des Paul-Robeson-Archivs und schrieb viele Bücher.

Grossman ist politisch noch immer aktiv, bei den Linken, im VVN-BdA und im Verein der Kämpfer und Freunde der Spanischen Republik. Er war in den letzten Jahren häufiger in Spanien auf Spuren der Interbrigadisten unterwegs, als in die USA. In diesem Sinne: Salud, Victor, zum 90. Und adelante, vorwärts zur 100.

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