’Ndrangheta auf Slowakisch

Martin Leidenfrost besuchte Bratislava nach dem Mord an dem Enthüllungsjournalisten Ján Kuciak

  • Martin Leidenfrost
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach der kältesten Nacht des Jahres fuhr ich in Bratislava ein. Ich hatte zwölf Jahre in der Slowakei gelebt und war weggezogen, weil ich nicht wollte, dass meine Tochter in einem Unrechtsstaat aufwächst. Ich kam, um Kerzen für den Journalisten Ján Kuciak und seine Verlobte anzuzünden. Unbekannte Täter hatten sie zu Hause erschossen.

Im Zentrum ein provisorisches Mahnmal, bei minus neun Grad blieben um neun Uhr nur wenige stehen. Zu Mittag außerhalb des Zentrums, vor Ringier-Springer, Kuciaks Arbeitsplatz. Fast nur Journalisten, der kalte Wind hatte die meisten Kerzen ausgeblasen. Ein in schwarzer Sturmmütze wachender Polizist leitete den Kameramann eines österreichischen SAT1-Ablegers an, wie er zu filmen ist - im Profil, Schärfe auf das Staatswappen. Ich beobachtete das mit Bitterkeit; die Polizeiführung dient den Herrschenden.

Ich kannte Ján Kuciak nicht, kenne und schätze nur den Chef seines investigativen Teams. Kuciak, 27, war ein bescheidener Junge mit der Begabung, in gewaltigen Internet-Datenkonvoluten die richtige Spur zu finden. Er schrieb viel über Betrügereien regierungsnaher Unternehmer, etwa über »Bonaparte«, den mit gestohlenem Steuergeld errichteten Protzbau, in dem Robert Fico wohnt, Premierminister und Chef der dominierenden Partei SMER-Sozialdemokratie. Kuciak war kurz vor der Veröffentlichung seiner größten Story gestanden.

Seine Reportage, die erst posthum erschien, handelte von vier Clans der kalabrischen Mafia ’Ndrangheta - in der Ostslowakei. Ihr Kerngeschäft war das Ergaunern von EU-Förderungen für großteils fiktive Agrarflächen, 2015-2016 warf das acht Millionen Euro ab. Die Integration der Italiener, die vom Ionischen Meer an den stinkenden Stausee »Zemplínska šírava« gezogen waren, war vollauf geglückt. Antonino Vadalà, der Held von Kuciaks Reportage, betrieb Firmen mit SMER-Politikern und dem Sohn des Kreisstaatsanwalts und bewarb SMER als »unsere Partei«.

Die Bombe hatte Ján Kuciak so formuliert: »Zwei Leute aus dem Umfeld des Menschen, der als Angeklagter eines italienischen Mafiafalls in die Slowakei gekommen ist, haben tagtäglich Zugang zum Premier des Landes - Robert Fico hat sie sich persönlich ausgesucht.«

An dieser Stelle betritt ein duftender schwarzer Schwan mit dunklen Katzenaugen die Bühne. Das Oben-ohne-Model Mária Trošková wurde 2014 Ficos Assistentin, später »Hauptberaterin des Staates«. Worin die Slowakei-Finalistin von »Miss Universe 2007« ihn beriet, erläuterte Fico nie. Die ganze Slowakei hielt sie für seine Geliebte. Der ermordete Journalist deckte auf, dass Trošková 2011-2012 mit Vadalà eine Firma geführt hatte. Ein Liebespaar waren sie auch gewesen. Ein weiterer Geschäftspartner der ’Ndrangheta, der SMER-Abgeordnete Viliam Jašaň, wurde von Fico zum Sekretär des Sicherheitsrates erhoben. Der Ministerpräsident eines EU-Landes übernahm also die Bettgefährtin eines Mafioso, der seinerzeit vom Kapo mit der körperlichen Bestrafung eines Menschen in Rom betraut worden war.

Fico selbst ist ein Pate im besten Wortsinn. Er lässt seine Leute niemals fallen. Mafiös wirkte die Pressekonferenz, in der die für die Ausforschung der Mörder ausgelobte Million gestapelt neben Fico lag, in Fuffzigern und Hundertern.

Nun ist Staatskrise. Die slowakische Polizei verstrickt sich in Fehler und Lügen; zunächst gab sie den Kalabriern vier Tage Zeit, nahm sie danach türentretend fest und ließ sie nach zwei Tagen wieder frei. Letzte Woche schien Ficos Dreierkoalition noch zu halten. Diese Woche aber, seit der Staatspräsident Ficos Kopf fordert, fährt Fico eine halsbrecherische Konfliktstrategie: Er beschuldigt Präsident, Opposition und Demonstrierende, sie führten unter Anleitung des Finanzspekulanten George Soros einen Staatsstreich aus. Seinen Soros-freundlichen Koalitionspartner Most-Hid stößt er damit vor den Kopf. Vielleicht will Fico sein Kabinett von den unter Quarantäne stehenden Kotleba-Faschisten stützen lassen.

Eigentlich wollte sich Fico, 53, schon lange abseilen. 2014 misslang ihm der Absprung ins Präsidentenamt, neuerdings schielte er auf den Vorsitz des Verfassungsgerichts. Der begnadete Populist hatte mit linkssozialen und rechtsnationalen Kampagnen gesiegt, zuletzt war er mit seiner plötzlichen Liebe zu einem »Kerneuropa« Brüssels Liebling. Die »proeuropäische Insel Slowakei« war aber eine Schimäre. Etwas anderes als einen Unrechtsstaat kann es unter Robert Fico nicht geben.

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