Leben in der Lkw-Kabine

Die EU-Entsenderichtlinie regelt das Transportgeschäft zuungunsten der Fahrer - neue Vorschläge aus Brüssel würden die Lage nicht verbessern

  • Josephine Schulz
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Lkw-Fahrer Jiří Gabrhel arbeitete viele Jahre für ein tschechisches Transportunternehmen. Das entsendete ihn etwa nach Deutschland, um Fahrten für die Deutsche Post durchzuführen. Bei einer Verkehrskontrolle im Sommer 2015 wurde Gabrhel von einem Polizisten auch nach seinem Lohn gefragt. Der lag weit unter dem deutschen Mindestlohn, obwohl dieser auch ausländischen Fahrern ab der ersten Stunde auf deutschen Straßen zusteht. Gabrhel wendete sich an das DGB-Projekt Faire Mobilität, das ihm half, seine Ansprüche gegenüber dem tschechischen Arbeitgeber und der Post geltend zu machen. Mittlerweile hat er eine Nachzahlung erhalten, aber auch seinen Job verloren. Auf einer Konferenz über Arbeitsbedingungen im EU-Straßentransport von der Friedrich-Ebert-Stiftung und Gewerkschaften erzählt der Lkw-Fahrer, dass er trotzdem nicht bereut, sich gewehrt zu haben.

Seine und weitere Geschichten zeigen: Die Konkurrenz im europäischen Transportsektor ist gnadenlos. Dumpinglöhne, zu lange Arbeitszeiten und Sozialversicherungsbetrug sind eher die Regel als die Ausnahme. Aus solchen Gründen hatte sich die EU zur Reform der Entsenderichtlinie durchgerungen. Darin ist vorgesehen, dass etwa Arbeiter, die von einer polnischen Firma für einen Auftrag nach Deutschland geschickt werden, den gleichen Lohn erhalten wie deutsche Arbeiter der Branche. Das könnte künftig Verbesserungen für ausländische Beschäftigte auf dem Bau oder in der Pflege bedeuten. Gegen massiven Widerstand der Gewerkschaften wurde der Transportsektor jedoch aus der Richtlinie ausgeklammert. Die EU-Kommission legte in einem gesonderten »Mobilitätspaket« Regulierungs- und Deregulierungsvorschlägen für den Transport in Europa vor.

Stefan Körzell vom DGB kritisiert die Vorschläge: »Damit werden Sozialdumping und schlechte Arbeitsbedingungen legalisiert.« Im Mittelpunkt hätte die Kontrolle und Durchsetzung bestehender Regeln stehen sollen, stattdessen würden sich die Vorschläge den ungeheuerlichen Praktiken auf den Straßen anpassen.

Ungeheuerlich sind die Bedingungen tatsächlich. Die Fahrer leben über Monate in der Lkw-Kabine und fahren täglich weit über die erlaubte Stundenzahl. Viele quälen sich krank ans Steuer. Denn den Großteil ihres Gehalts bekommen vor allem osteuropäische Fahrer über »Spesen«. So werden für den Arbeitgeber kaum Steuern oder Sozialabgaben fällig. Für den Fahrer bedeutet das: Kann er nicht fahren, fehlen ihm hunderte Euro - Altersarmut ist programmiert.

Die Kommission schlägt nun vor, dass eine Entsendung bei internationalen Fahrten erst ab drei Tagen im Monat vorliegen soll. Erst dann steht dem Fahrer also das Gehalt des Ziellandes zu. Es ist zu befürchten, das Firmen ihre Routen dann so planen, dass die Grenzen immer knapp unterschritten werden.

Eine extreme Liberalisierung ist im Mobilitätspaket für die sogenannte Kabotage vorgesehen. Die liegt dann vor, wenn ein inländischer Transport von einem ausländischen Anbieter übernommen wird. Bisher war Kabotage auf drei Fahrten innerhalb einer Woche begrenzt, um inländische Spediteure vor Billigkonkurrenz zu schützen. Zukünftig sollen an bis zu fünf Tagen unbegrenzt viele Kabotagefahrten möglich sein.

Laut Frederik Rasmussen, Mitarbeiter der EU-Kommission, ist die Liberalisierung auch eine Antwort auf die Schwierigkeit, Kabotage zu kon- trollieren. Denn einem Lkw sieht man nicht an, ob er einen inländischen oder einen internationalen Transport durchführt. Das macht deutlich: Das eigentliche Problem liegt eher in fehlender Kontrolle und Durchsetzung denn im Fehlen von Regeln.

Über das Mobilitätspaket wird in den kommenden Monaten von EU-Rat und -Parlament beraten. Besonders von osteuropäischen Staaten ist - wie schon bei der Entsenderichtlinie - Gegenwind zu erwarten. Allerdings wäre es zu kurz gegriffen, die Konfliktlinie zwischen »ehrlichen« Firmen im Westen und betrügerischen Dumping-Anbietern im Osten zu ziehen. Oft sind es Firmen aus Deutschland, den Niederlanden oder Frankreich, die Dumping betreiben, indem sie über Briefkastenfirmen Niederlassungen in Rumänien oder Polen gründen.

»Wir sehen, dass Businessmodelle, die auf Korruption und Kriminalität angelegt sind, in der Branche an der Tagesordnung sind«, meint der niederländische Gewerkschafter Edwin Atema. Die Leidtragenden sind die Beschäftigten aller europäischen Staaten. Aber selbst die Speditionsfirmen sind nur ein Akteur. Große Player wie die deutschen Autokonzerne vergeben Transportaufträge an die billigsten Anbieter und diktieren so Preise und Konditionen.

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