Hier geht nichts mehr
»Der Entertainer« im Theater am Kurfürstendamm kippt Bitternis aufs Publikum
Es soll kein schöner Abend werden. An dem Ort volkstümlichen Theaters, auf den man hier und da wegen seines Boulevardcharakters auch schon mal herablassend sah, wird mit der letzten Produktion vor dem Abriss das Gruseln gelehrt. Nackt, schwarz, abweisend empfängt die Bühne des Theaters am Kurfürstendamm seine Besucher in der Ausstattung von Rebekka Dornhege Reyers zu der Inszenierung »Der Entertainer«. Die Künstler von Santinis Production fanden für den Abgesang des geschichtsträchtigen Hauses ihre Form als Solo mit Gästen und Geistern. Keine leichte Kost.
Schluss mit Lustig: Der Boulevardgeist hat sich davongemacht. Nur kurz taucht er noch als Gestalt des hier einmal erfolgreichen Schauspielers Harald Juhnke auf. Andere Geister zogen ein. Wer sie nicht aushielt, entfloh in der Pause.
John Osborne schrieb das subtile Theaterstück »Der Entertainer« 1957 als Gleichnis auf das Ende der Londoner Music Halls als seit 1850 traditionellen Unterhaltungsorten. Zugleich spielte er auf die Suezkrise von 1956 an und damit auf den beginnenden Niedergang des britische Empire. Den ganzen Konfliktbrocken schob der Schriftsteller in die Familiengeschichte des Entertainers. Hier ist alle Hoffnung dahin. »Wir sind Mittelklasse«, sagt er. »Alles an uns ist Mittelklasse.« Regisseur Fabian Gerhardt übernahm alle Bitternis des Stücks, bearbeitete es stark für seine Abrissfassung.
Im Hausmantel steht Peter Lohmeyer zunächst vorm Publikum und scheut sich nicht, es sofort zu brüskieren. Sein Kommentar zum Ende des 1921 eröffneten Theaterhauses, auf dessen Fundament er schon ein Spielkasino sieht, ist hart und kompromisslos. Rien ne va plus. Nichts geht mehr hier. An Überzeugungskraft fehlt es ihm nicht. Wie muss der Schauspieler sich fühlen? Er erlebte 1993 schon das Ende des Schillertheater-Ensembles. Dann geht er in die Rolle des Entertainers Archie Rice. Der kann lächeln und lachen, singen und spotten. Gelernt ist gelernt. Aber hinter der Maske ist Depression. Eine kaum zu ertragene Hoffnungslosigkeit, bei der aller Schmerz mit Zynismus kaschiert wird.
Rice verletzt und beleidigt jeden, der ihm in die Nähe kommt. Seine Witze bleiben unter der Gürtellinie. Mehrfach geht er verbal auf die ihn am Piano begleitende serbische Musikerin Misha Cvijovic los, die im Stück eine Geflüchtete ist. »Balkanschlampe«, sagt er. Gefühl bricht allein in dem Moment hervor, als Rice die Nachricht vom Tod des Sohnes erhält, der nicht - wie im ursprünglichen Stück - beim Militäreinsatz in Ägypten, sondern in Mali getötet wird.
Das Auftauchen der Geister verstärkt die Aussage zum Sterben des Theaters. Der Regisseur holte sich dafür die Schauspielerin Anke Engelke als die dem Alkohol verfallene Ehefrau Phoebe und den Akteur Werner Rehm als Vater des Entertainers, der in diesem Beruf erfolgreicher war. Nicolas Lehni verkörpert den Sohn Frank. Johanna Griebel spielt die Tochter Jean, die sich als Einzige noch nicht aufgab. Und nur sie ist am Ende tatsächlich mit Lohmeyer auf der Bühne. Die anderen erscheinen als Hologramme. Exakt gemacht. Man sieht sie, man hört sie, am Ende verbeugen sie sich mit Lohmeyer. Doch Menschen sind da nicht mehr. Es ist grausig. Einmal stellt sich Lohmeyer zum Hologramm der Ehefrau. Da kann man durch sie hindurchsehen.
Hier gezielt eingesetzt, ist die Holografie glücklicherweise ansonsten im Theater nicht verbreitet. Die auf einen im 19. Jahrhundert mit Spiegeln erdachten Illusionstrick zurückgehende und noch heute in Freizeitparks für Grusel genutzte Methode wurde inzwischen zur 3-D-Holografie entwickelt. Bewegte Objekte - und hier eben Subjekte - lassen sich so auf eine Fläche projizieren, dass sie ohne spezielle Brille körperhaft erscheinen. Für Produktpräsentationen wird das oft genutzt, auch schon für Modenschauen oder Shows mit Auftritten bereits verstorbener Künstler. Das geschieht ja bei der aktuellen Produktion mit Harald Juhnke als Hausgeist.
Der Gipfel aber ist die Nachricht, dass die Firma Musion, mit der Santinis Productions für den »Entertainer« kooperiert, schon den Premierminister Indiens für den Wahlkampf als Hologramm in entlegene Dörfer schickte. Ein Lkw und eine Projektionsfolie reichten dafür. Glücklicherweise sprach sich eine solche gespenstische Variante für politische Zwecke in Deutschland noch nicht herum.
Nächste Vorstellungen: 14., 15. und 17. März im Theater am Kurfürstendamm, Kurfürstendamm 206, Charlottenburg
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