Rückkehr der Todesfallen

Trotz Landminenverbots werden wieder mehr Sprengsätze gelegt

  • Marc Engelhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Genf. Es war ein Routineeinsatz: Ein Kommando der UN-Militärmission in Mali (Minusma) patrouillierte Ende Februar auf der Straße von Boni nach Douentza. Weil Terroristen auf der Strecke im Zentrum des westafrikanischen Landes immer wieder Anschläge verüben, fuhren die Soldaten in einem Panzerfahrzeug. Doch das half ihnen nicht. Gegen 14 Uhr detonierte ein Sprengsatz. Vier Blauhelme waren sofort tot, vier weitere wurden schwer verletzt. Die Panzerabwehrmine hatte das Auto mit seinem Gewicht selbst gezündet.

Eigentlich sind solche Sprengsätze seit 1999 verboten. Mali gehörte zu den Erstunterzeichnern der »Ottawa-Konvention«, die Herstellung, Einsatz und Lagerung von Landminen untersagt. Die Initiatoren, die »Internationale Kampagne für das Verbot von Landminen«, erhielt 1997 den Friedensnobelpreis. Damit schien das Problem gelöst.

Doch das Gegenteil ist der Fall. Minen oder improvisierte Sprengfallen, die wie Minen funktionieren, werden weltweit immer häufiger eingesetzt. Die Zahl der Minenopfer steigt wieder. 2016 lag sie bei 8.605 Verletzten und Toten, die höchste Zahl seit 1999.

Es sind vor allem Terrorgruppen wie die, die im Norden Malis wüten, die zu solchen Waffen greifen. »Ihr Hauptziel sind die malische Armee, Minusma oder die französische Militärmission Barkhane«, erklärt Celine François, die für den Minenräumdienst der Vereinten Nationen (Unmas) den Einsatz in Mali koordiniert. Gegen die Soldaten setzen die Terrorgruppen auch Panzerabwehrminen ein, die entweder aus Altbeständen stammen oder aus Libyen eingeschmuggelt wurden. Dazu kommen die selbst gebauten Sprengsätze, die genauso heimtückisch sind.

François' Kollegen haben seit Beginn des Konflikts 2012 mehr als 2.000 Dörfer im Norden Malis nach solchen Waffen durchsucht und sie entschärft. Während ihres Rückzugs hatten die Islamisten an vielen Stellen Sprengfallen gelegt, um Bewohnern die Rückkehr zu erschweren und Soldaten zu töten. Gut 200.000 Bewohner der entlegenen Sahara-Region haben Unmas-Trainer deshalb darin unterrichtet, Sprengsätze zu erkennen. »Trotzdem nimmt die Zahl der Zivilisten unter den Opfern drastisch zu, das macht uns große Sorge.«

Besonders brisant ist die Lage indes für die UN-Blauhelme, zu denen auch bis zu 1.000 Bundeswehr-Soldaten zählen. Nicht umsonst gilt der Einsatz in Mali als die derzeit gefährlichste UN-Mission weltweit. Dass die UN mitten in einem Konflikt selbst das Ziel von Attentätern sind, erschwert auch die Arbeit der Minenräumer. »Wir arbeiten deshalb mit lokalen Organisationen zusammen, um die ganze Bevölkerung zu erreichen«, erläutert François. Unmas schult zudem malische Soldaten, damit diese selbst Minen räumen können. Doch das dauert.

Pehr Lodhammar räumt seit 27 Jahren Minen. Er glaubt: »Training alleine reicht da nicht, man braucht Erfahrung, jahrelange Erfahrung.« Erst dann fühle man sich sicher genug, um mit komplizierten Sprengsätzen zu hantieren. »Und selbst dann wird der Job niemals alltäglich.« Der Schwede arbeitet derzeit im Westen der irakischen Stadt Mossul, der vor einem dreiviertel Jahr vom IS befreit wurde. Eine solche Vielfalt und Masse an Sprengsätzen und Sprengfallen habe er noch nie erlebt.

In einem einzigen Krankenhaus, das der IS vorübergehend zu seinem Hauptquartier machte, entschärften Lodhammar und seine Teams mehr als 2.500 Sprengsätze. Bald fand Lodhammar auch heraus, wie der IS an solche Massen von Waffen kommen konnte: Mit industrieller Massenproduktion. »Wir haben in Mossul Fabriken geräumt, in denen etwa Artillerie-Geschosse selbst gegossen wurden, die der IS dann mit selbst produziertem Sprengstoff gefüllt hat.« Selbst ausgeklügelte Lagersysteme, Barcodes und eine eigene Qualitätskontrolle gab es.

Die Komponenten, aus denen die improvisierten Landminen bestehen, sind nicht schwer zu kriegen. Was nicht im Haushalts- oder Landwirtschafthandel verkauft wird, gibt es in Elektronik-Fachgeschäften. Jede dieser Fallen ist anders - nur tödlich sind sie alle.

Bei den Minenräumern ist das Aufatmen nach Unterzeichnung des Minenverbots längst der Angst vor den neuen Sprengsätzen gewichen. Mindestens zehn Jahre wird es wohl dauern, bis alleine Mossul wieder sicher ist, glaubt Lodhammar. Bis dahin wird es neue Orte geben, die zu räumen sind. Was die Minenräumer in Syrien erwartet, wagt niemand zu sagen. Bis 2025 soll die Welt minenfrei sein, fordert die Ottawa-Konvention. Dass das gelingt, ist zumindest unwahrscheinlich. epd/nd

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