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Putin sieht sich zwischen Thron und Schafott
Der Mann, der nach Gorbatschows Perestroika und Jelzins wilden Neunzigern kam, steht vor seiner vierten Amtszeit
Das Plakat »Unser Land, unser Präsident, unsere Wahl!« an russischen Magistralen kann in diesen letzten Tagen vor der Präsidentenwahl glatt als Werbung für den Amtsinhaber verstanden werden. Auch Wladimir Putin wird bevorzugt in den Nationalfarben Weiß, Blau, Rot und mit knappen Texten beworben. Dies allerdings zumeist mit seinem Bild und der Aufschrift »Starker Präsident - starkes Russland!«, aber keinesfalls mit der Quellenangabe ZIK. Das ist die Zentrale Wahlkommission Russlands, sie wirbt für die Ausübung des Wahlrechts.
Das ist nicht nur im demokratischen Sinne, sondern auch in dem des unangefochtenen Favoriten. Je eifriger die Stimmabgabe, desto größer die Legitimität des Präsidenten. Niemand zweifelt nach dessen Umfragewerten, die stets um die 70 Prozent liegen, daran, dass Putin Hausherr des Kreml bleibt. Verfassungsgemäß liefe seine vierte und letzte sechsjährige Amtszeit bis zum Jahr 2024. Dann wird der Mann, der nach der Perestroika und den wilden Neunzigern kam, 71 Jahre alt.
Am Sonntag dürfte ihm die wütende Attacke der britischen Premierministerin Theresa May nach Art des Schreckensrufes »Die Russen kommen!« vielleicht sogar einige zusätzliche Stimmen der Solidarität und des Trotzes verschaffen. Die Londoner Aggressivität im Falle des chemischen Angriffs auf einen früheren russisch-britischen Doppelagenten und dessen Tochter ist durch Fakten und Belege irgendwelcher Art bislang nicht abgedeckt. Für keinen Kleinkriminellen bekäme man bei solcher Beweislage auch nur einen Haftbefehl.
Im Falle Russlands und seines Präsidenten jedoch folgen beliebiger Untat Bezichtigung und ohne lästige Zwischenschritte Urteil und Hinrichtung. Solch Kalter Krieg trifft nicht nur den Chef im Kreml, sondern sein Land und am Ende Iwan Iwanowitsch. Die sogenannten einfachen Russen wissen, dass sie alles bei neuen Sanktionen oder mit strafferem Kurs in der Innenpolitik auszubaden haben.
Mag sich mit demonstrativer Kampfkraft Premier May Luft im Brexit-Dilemma verschaffen, kann Putin den Anschlag nicht gewollt haben. Fatalistisch sieht er Leute wie sich aber ohnehin »zwischen Thron und Schafott«, wie er einem Dokumentarfilmer anvertraute. Vielleicht kommt ihm die propagandistische Politshow, zu der sich der Westen gerade solidarisch aufreiht, auch zupass.
Nachdem er vor zwei Wochen neue Superwaffen präsentierte und die Hyperschall-Rakete »Kinschal« (Dolch) gerade erfolgreich getestet wurde, scheint sich die Richtigkeit solcher Aufrüstung schlagend zu bestätigen. So versäumte Maria Sacharowa, scharfzüngige Sprecherin des Außenministeriums am Smolensker Platz, nicht einen deutlichen Hinweis eben darauf: »Niemand sollte einer Atommacht 24-stündige Ultimaten stellen.«
Der Oberkommandierende hat zuvor sicherheitshalber klargestellt, dass die Atomwaffen für einen Erstschlag nicht vorgesehen seien. »Alle unsere Einsatzpläne, von denen ich hoffe, dass sie nie gebraucht werden, also unsere theoretischen Einsatzpläne, sehen nur einen sogenannten Gegenschlag vor«, erläuterte Putin in einem kurz vor dem Urnengang online verbreiteten Dokumentarfilm. Die Entscheidung über den Einsatz falle erst, wenn klar sei, dass Russland selbst nuklear angegriffen worden sei.
So weit ist es nicht. Andere Länder versuchten aber Russland als Konkurrenten einzudämmen, klagt Putin und setzt auf Abschreckung. Die Wiederentdeckung russischer Interessen und deren Durchsetzung hat ihn im Westen zur Hassfigur werden lassen, nicht daheim.
In einem Clip mit dem Altrocker Oleg Gasmanow als Vorsänger marschiert in einer Kaserne das uniformierte Personal im Takt zu diesem Refrain: »Je stärker der Druck, desto härter der Beton.« Das kann als Antwort gehört werden auf das NATO-Vorrücken an Russlands Grenzen, auf Feindseligkeit aus Washington, London und anderswo, auf EU-Sanktionen, auch als Lob der Syrien-Mission. In der Perestroika sang Gasmanow begeistert vom »Frischen Wind«, danach traurig über die verlorene Sowjetunion »Geboren in der UdSSR«. Für verbreitete Stimmungen offenbart der Sänger aus Kasan immer wieder untrügliches Gefühl.
Diese Gabe teilt er mit seinem Präsidenten. Warum sonst legte dieser seinen Besuch des Baus der Krim-Brücke zum russischen Festland am Mittwoch in die Schlussphase des Wahlkampfes und den Urnengang selbst auf den 18. März, den offiziellen Tag der Übernahme der Schwarzmeer-Halbinsel. Damit weiß sich Wladimir Putin schon heute in vaterländischen Geschichtsbüchern in einer Reihe mit all jenen Größen, die Russland zur Groß- oder gar Weltmacht werden ließen. Unter keinen Umständen werde Russland die Krim wieder an die Ukraine zurückgeben, fertigt er einen danach fragenden Reporter ab: »Was, sind Sie verrückt?«
Der Kremlchef und Oberkommandierende weiß genau, das wäre mit den meisten Russen nicht zu machen. Völker- und anderes Recht hin oder her. Als Unterpfand nationaler Sicherheit sieht er die Stützpunkte der Schwarzmeerflotte ohnehin. Dass sie in die Hände der NATO fallen könnten, würde Kiew nach dem Machtwechsel 2014 die Pachtverträge wie angedroht kündigen, gehörte zu den ersten Argumenten für die international zumeist verurteilte Übernahme.
»Russland hat viele Probleme und es herrscht eine komplizierte internationale Lage«, vermerkt Michail Gorbatschow, Vater der Perestroika und letzter Präsident der UdSSR. Er hat Putin schon mehrfach kritisiert, diesmal bekräftigt er seine Unterstützung für den Nachfolger im Kreml. »Das Volk wünscht sich Sicherheit und keine übereilten Entscheidungen.« Putin sei heute wahrhaftig eine Führungspersönlichkeit, die die Unterstützung des Volkes habe. Dessen Willen aber müsse man berücksichtigen. Die Bürger meinten, er solle verlängern und noch ein Amtszeit erhalten.
Die erste begann am 31. Dezember 1999 mit dem Rücktritt Boris Jelzins als erstem Präsidenten Russlands. Absolution und Immunität wurden ihm zuvor zugesichert. Mit schwerer Zunge hatte er erklärt, in das neue Jahrtausend müsse Russland mit neuen Politikern gehen, mit klugen starken und energischen Menschen. Für seine Amtszeit räumte er enttäuschte Erwartungen, Fehler und Missgeschicke ein. Faktisch stand Russland ausgeplündert und ruiniert unmittelbar am Rande eines Abgrundes.
Noch am Silvesterabend verließ Putin den Kreml um 18 Uhr »amtierend«, aber schon mit dem Stander des Präsidenten am Wagen. Im März wurde er erstmals gewählt, erhielt 52,9 Prozent der Stimmen. Seine eigenen Bilanzen gehen immer wieder auf diesen Beginn vor 18 Jahren zurück. Nach dem Untergang der Sowjetunion, Raubtierkapitalismus und Rubelkrise führt Putin das Land zurück zu Stabilisierung, Konsolidierung und neuer alter Stärke.
Perestroika und Kapitalisierung stehen vielen Menschen hingegen für Zerfall, Niedergang und Elend. Was der Westen an Demokratisierung und Demokraten, an Reformern und Oppositionellen lobpreist, trifft im Lande selbst auf ein ganz anderes Echo. »Liberal« ist Schimpfwort, Mawrodi-Volksaktien wehten als Knüllpapier durch die Straßen. Eine »gelenkte Demokratie«, nationales Zusammenrücken und der Rückhalt für einen zunehmend mächtigeren Präsidenten können darin Erklärung finden. Vor allem mit Wladimir Putin verbinden die Menschen in Russland seit dem Jahr 2000 wirtschaftliche Erholung und ein besseres Leben. Der kündigt Arbeit und Erfolge an.
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