Aus für Fico
Nach Massenprotesten wegen des Mordes an Ján Kuciak muss der slowakische Regierungschef den Hut nehmen
Es hatte sich als unvermeidlich angekündigt: Nach dem Mord am slowakischen Enthüllungsjournalisten Ján Kuciak und seiner Lebensgefährtin war die Regierungsspitze um Premier Robert Fico und seinem Innenminister Robert Kaliňák in scharfe Kritik geraten. Am Montag bereits demissionierte der Minister, in der Hoffnung, damit weitere Unruhe von der Regierung fernzuhalten. Doch weder den Menschen in der Slowakei noch dem Präsidenten genügte dieser Schritt. Nach den Vorwürfen von Machtmissbrauch und Korruption blieb Premier Robert Fico nichts weiter übrig, als auch seinen Rücktritt anzukündigen. Dies tat er am Mittwochabend mit der Bedingung, Präsident Kiska möge die bestehende Koalition akzeptieren und einen neuen Premier ernennen. Ein verfassungsrechtlich nicht unumstrittenes Verfahren, da eigentlich mit der Demission des Regierungschefs auch das ganze Kabinett automatisch aufgelöst wird. Doch Kiska nahm den Vorschlag an unter der Bedingung, dass das Parlament am kommenden Montag dem neuen Kabinett das Vertrauen ausspricht.
Am Donnerstagnachmittag hatte Präsident Kiska den bisherigen Stellvertretenden Ministerpräsidenten Peter Pellegrini mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. Zuvor hatte nach einer kurzen Kabinettssitzung, an der auch der am Montag zurückgetretene Innenminister Kaliňák teilnahm, Premier Fico seinen Rücktritt eingereicht. Pellegrini (SMER-SD), der vor seinem aktuellen Amt Parlamentspräsident und Bildungsminister war, gilt als enger Vertrauter Ficos. Dass er den Posten des Premiers übernehmen sollte, ging auf einen Vorschlag des sozialdemokratischen Parteichefs zurück. Fico wird auch nach der Demission Chef von SMER-SD bleiben. Bela Bugar, Parteichef des slowakisch-ungarischen Koalitionspartners Most-Hid, betonte, mit den Vorschlägen einverstanden zu sein. Alle 14 Abgeordneten von Most-Hid hatten sich der Fortführung der Koalition versprochen. Pellegrini hatte am Vormittag die Unterschriften von 79 Abgeordneten der Koalition (von 150 des Nationalrates) dem Präsidenten unterbreitet.
Doch nicht alle Minister der bisherigen Koalition wollen auch weiter zur Verfügung stehen. Justizministerin Lucia Žitňanská (Most-Hid) erklärte ihren Rücktritt, sie soll durch die bisherige Staatssekretärin des Ressorts, Mária Kolíková ersetzt werden. Der vakante Posten des Kulturministers soll künftig vom Abgeordneten Erik Tomáš ausgefüllt werden. Eine Personalie, die bei den Protestierenden auf Widerstand stoßen dürfte: Tomáš gehört zum Umfeld Ficos und war Sprecher des umstrittenen Innenministers, zudem geriet er mit seinem luxuriösen Lebenswandel mehrfach in die Schlagzeilen.
Mit der Regierungsumbildung ist die Krise in Bratislava keineswegs beigelegt. Selbst Präsident Kiska räumt ein, dass die Bevölkerung auch nach dem Kabinettsumbau das Recht hätte, weiter zu protestieren. Alojz Hlina, Chef der oppositionellen Christdemokraten KDH, kündigte an ein Referendum über vorzeitige Neuwahlen initiieren zu wollen.
Am vergangenen Freitag demonstrierten Menschen in mehr als 48 slowakischen Städten, allein in Bratislava waren es 50 000. Demonstrationen, die es seit der Samtenen Revolution im November 1989 nicht mehr gab. Auch im benachbarten Tschechien trieb es die Menschen wieder auf die Straße. Mehr als 300 Schulen, Hochschulen und Universitäten blieben am Donnerstag geschlossen. Zehntausende versammelten sich auf dem Prager Wenzelsplatz. Die Studenten forderten, eine Regierung unter Andrej Babiš zu verhindern. Die Proteste richteten sich ferner gegen den jüngst wieder gewählten Staatspräsidenten Miloš Zeman. Ihm wird vorgeworfen, sich vor den Agromilliardär Babiš zu stellen und die juristische Aufarbeitung in Sachen Steuer- und Subventionsbetrug zu behindern oder zumindest herabzuspielen. Des Weiteren wird kritisiert, dass Zeman und Babiš ein Stillhalteabkommen derart abgeschlossen hätten, dass jeder dem anderen zum angestrebten Amt verhelfe. In beiden Nachfolgestaaten der Tschechoslowakei ist derzeit mit anhaltender Unruhe zu rechnen. Die EU dürfte mit einiger Sorge nach Osten blicken.
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