Im Zeichen der Raute

Sieben Tage, sieben Nächte

Was hat der Roman der neuen Bundesregierung voraus? Das literarische Genre vermochte es, wie Stefan Ripplinger am Beispiel Laurence Sternes zeigt, sich über sich selbst lustig zu machen, noch bevor es richtig seine Form gefunden hatte: »Bevor die großen, heute noch gelesenen Romane von Tolstoi bis Thomas Mann entstehen konnten, lachte bereits alle Welt mit ›Tristram Shandy‹ über diese Kunst.« Der gelungenste Versuch, die künftige Regierungsarbeit mit ein wenig Humor zu nehmen, kam bislang von Horst Seehofer, als er sein neues »Heimatmuseum, äh, Heimatministerium« anpries.

Doch nach seiner Ankündigung, in der guten Stube Deutschland mit einem »Masterplan für Abschiebungen« gleich gründlich durchfeudeln zu wollen, blieb das Lachen schnell im Halse stecken. Auch der Versuch des neuen Gesundheitsministers Jens Spahn, den Bezug von Hartz IV zu einem heiteren Dasein im warmen Schoße der Solidargemeinschaft umzudeuten, war nicht so lustig.

Hauptthema dieser Tage war allerdings, ob Angela Merkel mit einer vollständigen vierten Amtszeit neue Rekordbundeskanzlerin wird und ob sie womöglich schon an eine fünfte denkt. Sicher ist bisher nur, dass die Generation Merkel wächst - also die Anzahl der Menschen, die sich kaum oder gar nicht mehr erinnern können, mal von jemand anderem regiert worden zu sein. Heimliche Recherchen in einer aus Datenschutzgründen offiziell nicht existenten Geburtstagsliste des »nd« haben zutage gebracht, dass nicht wenige Kolleginnen und Kollegen in Redaktion und Verlag zumindest ihr gesamtes Erwachsenenleben mit Angela Merkel verbracht haben. Also nicht nur ohne Mauer, sondern komplett im Zeichen der Raute!

Was unweigerlich zu der Diskussion führte, ob das denn nun besser oder schlimmer sei, als in diesem Alter nur Honecker oder Kohl gekannt zu haben. Oder sind gar am wenigsten diejenigen zu beneiden, die genau in den wilden Schröder-Jahren die Erwachsenenwelt erkundeten? Bomben, Hartz IV und Dosenpfand - welch ein Einstieg in die Politik! Ist dem nicht eine schön bleierne Zeit vorzuziehen, in der die Regenten den Eindruck erwecken, als zerrten sie lediglich von Zeit zu Zeit die schweren Eisenkugeln an ihren Beinen ein Stückchen in diese oder jene Richtung?

Jedenfalls prallen hier, am Franz-Mehring-Platz 1, Welten aufeinander. Gerade erst rief eine Leserin an und meinte, der Chefredakteur müsse sich noch an Vorgänge aus den Sechzigern erinnern. Also quasi an die Zeit, bevor er richtig seine Form gefunden hatte. Aber hier kommt der Ich-Erzähler nicht erst im dritten Band zur Welt, wie bei »Tristram Shandy«. Denn leider hat der Roman auch dem Zeitungmachen einiges voraus.

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