Die Meinung

Meinungen als Tupperware der Gesellschaft - alle können mitmachen und weitergeben, auch Uwe Tellkamp

  • Paula Irmschler
  • Lesedauer: 2 Min.
Sehnsuchtsort Meinung. Viele haben sie schon, sie genoss stets einen guten Ruf. Längst ist sie ein Produkt für die Massen, in allen Farben und Formen erhältlich, Fluch und Segen, Pro und Kontra, problematisch und unbequem, aber vor allem: sehr gut. Schon Jahrhunderte vor Christus (über ihn herrschten erstmalig unterschiedliche Meinungen) handelte man mit ihr, der ältesten Währung der Welt. Die alten Römer, Griechen und Deutschen haben auf ihr die Demokratie und Schlimmeres errichtet. Viele heute bekannte Meinungen haben dort ihren Ursprung, sie profitieren von der alten, noch mundgeblasenen Meinung.

Meinungen sind ein Schneeballsystem, die Tupperware der Gesellschaft, alle können mitmachen und weitergeben. Es gibt immer mehr richtig gute und wichtige Meinungen. Es gibt Meinungspartys, Meinungskonferenzen und Meinungsmessen, die Rubriken der größten Zeitungen sind voll mit den geilsten Meinungen der Welt.

Als die Meinung noch in kleinen Clubs spielte, wurde der Schriftsteller Uwe Tellkamp geboren. Er hat selbstverständlich auch eine Meinung, die er zum Beispiel auf Podien vertritt, und findet sie ganz wunderbar. Leute, die Tellkamp wunderbar finden, finden auch seine Meinung wunderbar. Manchmal kopulieren Meinungen auch miteinander und die Rödelnden stöhnen dabei: »Fürwahr!«, »Genau!«, »Ist so!«, »Finde ich auch!« und dann wird die Meinung zum Glauben, über diesen sogleich zum Wissen und immer weiter.

Wer weiß denn überhaupt schon irgendetwas so genau? Klar, Stephen Hawking wusste Dinge, aber der ist nun auch hin. Sibylle Berg fand jedenfalls, die Pegida-Meinung von Tellkamp sei Ergebnis einer »Diskussion, mit unterschiedlichen Argumenten«, der Suhrkamp Verlag nannte sie zurückhaltend »Haltung«, Stefan Locke schrieb in der FAZ von »rechtspopulistischen Äußerungen«. AfD-MdB Frank Pasemann wusste es besser: Für ihn ist Tellkamp der Überbringer der »Wahrheit«, während Deutschland, Land voller Menschen mit Bäuchen und Gefühlen drin, wieder viel über Meinungsfreiheit diskutiert und Brecht zitiert.

Ich nenne, zu behaupten, über 95 Prozent der Flüchtlinge kämen nach Deutschland, um in die Sozialsysteme einzuwandern, eine Lüge, rassistischen Wahn und nicht besser als das Gequatsche irgendwelcher YouTube-Nazis - aber das ist nur meine Meinung. Die muss man aushalten in einem freien Land ohne Gesinnungsdiktatur. Leider ist die Meinungsfreiheit letzte Woche in Deutschland (Tellkamp) verboten worden, gefangen genommen auf Podien, im Fernsehen und Bestsellerlisten, und er wird es nie erfahren. Wir denken nostalgisch an Robert Gernhardts Gedicht »Dorlamm meint«, in dem es heißt: »Laßt uns schweigen, Freunde! Senkt das Banner! / Dorlamm irrt. Doch formulieren kann er.« Oder, wie mich ein besoffener Freund mal anlallte: »Meinung ist ein hohes Gut, wenn man welche haben tut.«

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