- Kommentare
- Rassismus in Europa
Eskalation von Hass, Groll und Gewalt
Für Claire Fernandez reiht sich der Wahlerfolg der Rassisten bei der italienischen Parlamentswahl in eine erschreckende Entwicklung in Europa ein
Das Ergebnis der Parlamentswahl in Italien hat viele aufgeschreckt, doch der Erfolg von Parteien, die Rassismus und Xenophobie fördern, spiegelt den aktuellen Trend in der Europäischen Union wieder. Die Antwort darauf sollte unserer Verantwortung gerecht werden, eine Vision eines starken, diversen und inklusiven Europas aufrecht zu erhalten.
Egal welche Regierungskoalition sich nun in Italien bilden wird, die extrem rechte Lega und die europafeindliche Fünf-Sterne-Bewegung haben Fremdenhass normalisiert. Die Lega-Kampagne »Stoppt die Invasion« hätte nicht deutlicher auf Migranten und Muslime abzielen können. Ihr Anführer Matteo Salvini hatte sogar die rassistisch motivierten Schüsse in Macerata, die sechs afrikanische Migranten verletzten, als »sozialen Konflikt« abgetan.
Claire Fernandez ist stellvertretende Direktorin der Programme beim Europäischen Netzwerk gegen Rassismus (ENAR) in Brüssel. Sie arbeitet seit Jahren zum Thema Menschenrechte.
Vor dem Hintergrund, dass laut Behördendaten mehr als 60 Prozent aller Hassverbrechen wegen der Rasse oder Ethnie des Opfers begangen werden, ist das Klima der Straflosigkeit in Italien erschütternd. Es gibt keine Zahlen zur Verfolgung oder Verurteilung von rassistischen Verbrechen. Klar ist nur: Sie werden in den kommenden Monaten zunehmen. Tatsächlich ist schon ein Schwarzer in Florenz einem allem Anschein nach rassistischen Mord zum Opfer gefallen - die Polizei spricht von der Tat einer suizidalen und verwirrten Person.
Italiens schwache demokratische Tradition, der fehlende Respekt für Institutionen und die kollektive Amnesie gegenüber der faschistischen Vergangenheit des Landes erklären zum Teil das Niveau an strukturellem Rassismus, das sich in der Wahl niedergeschlagen hat. Richtig ist aber auch, dass Italien als Hauptankunftsland für Bootsflüchtlinge den Preis für einen Mangel an Solidarität unter der EU-Staaten und für die Externalisierung von Migrationspolitik an Drittstaaten zahlt.
Hetzerische und rassistische Ausfälle im italienischen Wahlkampf hatten keine Sanktionen zur Folge. Auch das ist ein europäischer Trend. In Österreich, Polen, Ungarn, Belgien, Frankreich, den Niederlanden und weiteren Ländern schüren regierende Parteien Rassismus. Niemand ist sicher. Die Rechte von Frauen, LGBTI, Muslimen, Migranten, Juden, Roma, Journalisten und derer, die sie verteidigen, werden attackiert. Die Gesellschaft als ganzes ist betroffen von der Eskalation des Hasses, Grolls und der Gewalt.
Wir brauchen couragierte Politiker, die sich gegen das Schüren von Angst einsetzen. Denn der kollektive Schaden wird größer sein, wenn wir in die Falle der Spaltung tappen. Wir müssen gegen Angriffe auf Minderheiten zusammenhalten. Und wir müssen die Heuchelei derer klar benennen, die die sogenannten Fremden im weißen christlichen Europa für alles verantwortlich machen, was schief läuft. Wie das geht, hat die Israelitische Kultusgemeinde Wien (IKG) gezeigt: Sie weigert sich, mit der extrem rechten FPÖ in der neuen Regierung zusammenzuarbeiten. »Die gesamte Geschichte der FPÖ - und auch ihre gegenwärtige Situation - sind xenophob und ihre Führung versucht, Teile der österreichischen Bevölkerung gegeneinander aufzuwiegeln«, erklärte dazu IKG-Präsident Oskar Deutsch.
Auch in Italien gab es im Wahlkampf eine starke antifaschistische Mobilisierung. Eine unserer Analysen hat zudem gezeigt, dass Demonstrationen mit positivem Bezug zu Migration in den Jahren 2015 und 2016 in Europa häufiger zu beobachten waren als Proteste gegen Migranten.
Die Europawahl 2019 wird Antworten auf eine Reihe von Fragen bringen: Wie werden wir die Vision einer Gesellschaft basierend auf Recht und Gerechtigkeit verteidigen? Wie wird uns eine Mobilisierung jenseits von Empörung gelingen? Es beginnt damit, für sich selbst und andere einzustehen. Erinnert sei deshalb an die Worte des Schriftstellers und Friedensnobelpreisträgers Elie Wiesel: »Der Feind der Liebe ist nicht der Hass, sondern die Indifferenz.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.