Den Bauboom sozialisieren

Andrej Holm stellt Konzept für eine Renaissance gemeinnütziger Bauwirtschaft vor

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine neue soziale Bauwirtschaft kann entscheidend dazu beitragen, den kommunalen Bauboom der kommenden Jahre zu meistern. Zu diesem Schluss ist der Stadtsoziologe Andrej Holm gekommen. Kürzlich stellte er bei der Klausur der Berliner Linksfraktion, für die er als Experte arbeitet, ein erstes entsprechendes Konzept vor. Historisches Vorbild seiner Überlegungen sind die Bauhütten der 1920er Jahre, die stark am damaligen genossenschaftlichen Wohnungsbauboom beteiligt waren. Unter anderem die von Gewerkschaften initiierte Wohnungsbaugenossenschaft Gehag setzte auf die gemeinnützigen Unternehmen, die sich zu jener Zeit auf Gewerkschaftsinitiative hin formierten.

194 000 neue Wohnungen müssen laut Senatsprognosen bis 2030 errichtet werden, jährlich 6000 davon sollen allein die sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften errichten. Der kommunale Neubau kommt allerdings eher verhalten in Fahrt, nur knapp die Hälfte, 2785 Stück, wurden 2017 fertig, wie die Antwort auf eine Schriftliche Anfrage des SPD-Abgeordneten Joschka Langenbrinck ergab. Nach derzeitigem Stand werden die Landeseigenen dieses Jahr knapp 4300 Wohnungen fertigstellen, wie die Antwort auf eine Schriftliche Anfrage des CDU-Abgeordneten Christian Gräff ergibt.

Neben den explodierenden Baulandpreisen und fehlenden Planungskapazitäten hakt es auch bei den Baufirmen. »Unsere Mitgliedsunternehmen haben permanent Probleme, weil sie überhaupt keine Angebote auf Ausschreibungen erhalten«, sagt David Eberhart, Sprecher des Verbands der Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunternehmen (BBU), der vor allem die Interessen der kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungswirtschaft vertritt.

Dazu kommen noch die Preissteigerungen. Für sogenannte Standardwohnimmobilien sind die Baukosten laut einer Auswertung des Baukosteninformationszentrums Deutscher Architektenkammern sowie des Unternehmens on-geo seit 2010 um fast ein Viertel stärker gestiegen als im gesamten Baubereich, berichtet die »Immobilien Zeitung«.

»Das sind klar marktförmige Preisschwankungen, die sich durch eine gemeinnützige Form des Bauens reduzieren lassen«, ist Holm überzeugt. Angesichts anstehender öffentlicher Bauinvestitionen von jährlich zwei bis drei Milliarden Euro hält er einen gemeinnützigen Planungs- und Baudienstleister für unbedingt sinnvoll. »Für einen Teil dieser Bauleistungen schafft man sich eine tatsächliche Durchsetzungs- und Durchführungssicherheit, indem man gerade die knappen Gewerke und bestimmte, für die Bauaktivitäten notwendige Voraussetzungen, vor allem in Planung und im ingenieurstechnischen Bereich, in der eigenen Hand organisiert«, so Holm. Größere private Unternehmen holten sich Leistungen, die sie ständig und regelmäßig brauchen, schließlich auch in den eigenen Betrieb. »Außerdem können Bauhütten auch einen Beitrag beim Thema gute Arbeitsbedingungen leisten«, sagt der Wissenschaftler.

Der BBU hält den Vorschlag Holms für keine Lösung der Problematik. »Wir glauben nicht, dass ein neuer Player als weiterer Konkurrent um die knappen Arbeitskräfte irgendetwas ändert«, erklärt David Eberhart. Außerdem macht er EU-rechtliche Bedenken geltend.

»Die 30 000 Wohnungen, die in dieser Legislatur vereinbart sind, werden wir nicht mit einer Bauhütte schaffen«, sagt Andreas Otto, Stadtentwicklungsexperte der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Er sieht aber auch deutliche Vorteile eines neuen gemeinnützigen Unternehmens. Erstens ließe sich so überprüfen, ob die aktuellen großen Baupreissteigerungen tatsächlich nur mit Lohn- und Materialkosten zu begründen sind. »Ein zweiter Aspekt ist eine mögliche öffentliche Ausbildungsoffensive für Bauberufe«, so der Politiker. Schließlich gebe es ganz viele Menschen in Berlin, die keine Ausbildung machen. »Wir könnten den Betroffenen eine Chance bieten und gleichzeitig dem Personalmangel begegnen«, erklärt Otto. Die wiederaufzubauende Bauakademie könnte in seinen Augen eine gute Keimzelle dafür sein. »In bester Schinkel’scher Tradition könnte die Akademie sich der Erforschung und Anwendung zukunftsweisender Bautechniken widmen«, schwebt dem Politiker vor. »Ein neues Baukombinat will ich allerdings nicht.«

Katalin Gennburg, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, ist Anhängerin der Bauhüttenidee. Sie hebt das Innovationspotenzial hervor: »Oft wollen private Baufirmen neue Ideen gar nicht umsetzen, weil sie nicht in die herkömmlichen Abläufe passen.«

»Einen ausgearbeiteten Masterplan für eine neue gemeinnützige Bauwirtschaft habe ich nicht«, sagt Holm. »Wichtig ist aber, dass die Diskussion darüber beginnt.«

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