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- Buch zum NSU-Prozess
Nicht provokant, nur arrogant
Peinliche Erkenntnisse einer ehemaligen Nebenklageanwältin im NSU-Prozess
Wierig meldet sich ab. Over and out.« Für diese Sätze muss man sich durch 275 Seiten bemühen. Nicht quälen, nein. Denn die Autorin bietet gesellschaftsbezogen manch Blickweitendes. Doch oft anders, als sie es beabsichtigt. Angela Wierig vertrat die Nebenklage von Ayşen Taşköprü, der Schwester von Süleyman Taşköprü. Der junge Mann war im Sommer 2001 in seinem Hamburger Gemüseladen erschossen worden. Mutmaßlich vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). Am 401. Verhandlungstag ist Wierig raus. Nach ihrem höchst seltsamen Plädoyer hatte ihre Mandantin die Entpflichtung beantragt.
Sie habe nie Richter oder Staatsanwalt werden wollen. Und in das Münchner Verfahren, in dem sie als Vertreterin der Nebenklage naturgemäß in einer anklagenden Funktion war, sei sie durch einen »dummen Zufall« gerutscht, schreibt Wierig. Den sie via Osburg-Verlag ausnutzt, um abzurechnen. Was sie anfangs mit einigem Witz und viel Ironie locker und durchaus nahe an mancher Wahrheit im Justizgetriebe scheinbar provokant aufgeschrieben hat, wächst sich zu einer nervenden Arroganz aus. Schon erstaunlich, dass die Autorin sich täglich herablässt, mit anderen Menschen die gleiche Luft zu atmen.
Der Dauerprozess vor dem Oberlandesgericht, der Vorsitzende, die Bundesanwaltschaft, viele Zeugen und Nebenklageanwälte verdienen jede Menge Kritik. Jeder, der sich im Gegensatz zum Oberlandesgericht um Aufklärung der rechtsterroristischen Verbrechen und der teilweise sträflichen Nachlässigkeit der Ermittlungsbehörden bemüht, hat jedes Recht zur Kritik. Da muss man auch nicht zimperlich sein, so sakrosankt ist das Geschehen in München wahrlich nicht. Doch was hat Wierig zur Aufklärung beigetragen? Sie ist Hinterkopfpsychologin, weil sie von ihrem Sitzplatz Zeugen nie direkt in die Augen sehen konnte. Durch allerlei Spitznamen wie »großer Nazifresser« stellt sie erkennbar Nebenklage-Kollegen an den Pranger, unterstellt pure Geldgier, Mediengeilheit oder plumpe Antifa-Mentalität.
Sie teilt die rund 60 Nebenklage-Anwälte »in (mindestens) zwei Gruppen« ein: »Die einen, die den Staat vor Gericht stellen möchten, und die anderen, die das Verfahren auf die Anklage beschränkt wissen wollen.« Sie gehöre »zu Letzteren, da ich der Meinung bin, dass die politische Aufklärung nicht in diesen Prozess gehört«. Wohl aber schwingt sich Wierig auf zu einem Organ der Rechtspflege. Um politisch auszuteilen. »Nicht nur in diesem Prozess, sondern in ganz Deutschland gilt zweierlei Recht: Meinungsfreiheit für die moralisch überlegene Multikulti-Vegan-Impfverweigerungsfraktion, Redeverbot für die Rechten.« Sie schreibe dieses »zu Zeiten, in denen sich Pegida formiert hat. Und die AfD.«
Wierig, die sich in keine Schublade kuscheln will, mag nicht zu d e r kollektiven Nebenklage gehören. Gehört sich auch nicht, denn anders als die Kollegen vermag sie nicht einmal einen Unterschied zwischen Nazis und Antifa zu erkennen. »Angesichts der Flüchtlingswelle« werde ihr »auch etwas schwummerig«. Nicht Integration sei das Wichtige, »Kontrolle ist viel wichtiger«. Doch nicht durch »so einen luschigen Sozialarbeiter«, sondern durch einen »Afghanen, der seit 30 Jahren in Deutschland ist, Kampfsport macht und im Notfall nicht nur eines auf die Fresse androht, sondern auch umsetzt«.
Die Hamburger Strafverteidigerin wechselt bisweilen in die Rolle einer Verteidigerin - zugunsten der in München Angeklagten. Sie erkennt, wer schuld daran ist, sollte Ralf Wohlleben zu einem rechtsextremen Drahtzieher geworden sein: Jene, die ihn als »Nazi« bezeichnet haben, hätten ihn nach rechts gedrängt. Mit Gier stürzt sie sich auf alle, die in unserer Gesellschaft generell institutionellen Rassismus erkennen können. Sie stellt sich vor Ermittler, deren mangelnde Aufklärungsleistung vielfach belegt ist. Dass Verfassungsschutzorgane quasi Beihilfe zum Nazimorden geleistet haben, bestreitet sie. »Nach dieser Logik wäre ein Großteil der zwischenzeitlich verstorbenen Weltbevölkerung für die Mordserie des NSU verantwortlich.« So wie der »Urgroßvater Mundlos, der sich weigerte, im Ersten Weltkrieg in feindliches Geschützfeuer zu laufen«. Selbstverliebt treibt sie den Zynismus bis zu einem imaginären »Busfahrer, der es versäumte, eine Panne vorzutäuschen und so das erste Rendezvous der Großeltern Böhnhardt zu torpedieren«. Und dann erst die Journalisten… Sie, die moralisch Erhabene, macht jene nieder, die maßgeblich dazu beigetragen haben, dass der Skandal NSU überhaupt ausgeleuchtet wurde.
»Nazis Inside«, lautet der Untertitel des Buches. Wer anderen einen Spiegel vorhalten will, darf auch selbst reinschauen.
Angela Wierig: Nazis Inside. 401 Tage NSU-Prozess. Osburg Verlag, 275 S., geb., 20 €.
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