- Politik
- Bildung
Streit um Arrest für Schulschwänzer
Sachsen-Anhalt: Schwarz-rot-grüne Regierungskoalition uneins über neues Gesetz
Sollen unbelehrbare Schulschwänzer in letzter Konsequenz mehrere Tage hinter Gittern sitzen? Darüber gibt es in Sachsen-Anhalts schwarz-rot-grüner Landesregierung unterschiedliche Ansichten. »Wir brauchen diese Ultima Ratio, wenn wir das Thema der Schulverweigerung nicht auf die leichte Schulter nehmen wollen«, sagte Bildungsminister Marco Tullner (CDU) der dpa.
»Wir halten das für wenig produktiv«, entgegnete hingegen die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Angela Kolb-Janssen. Die Sozialdemokraten versuchen bei den laufenden Gesprächen über ein neues Schulgesetz, den Arrest für Schulschwänzer abzuschaffen. »Im Jugendarrest findet wieder keine Schule statt - und Ziel muss es doch sein, denjenigen wieder zum Mitmachen zu motivieren.«
In Sachsen ist die Zahl der Schulverweigerer deutlich gestiegen. Laut Kultusministerium wurden 2016 von den Landkreisen und kreisfreien Städten 6144 Ordnungswidrigkeitsverfahren gemeldet, die eingeleitet wurden, weil Schüler länger unentschuldigt gefehlt haben.
Im Jahr davor waren es lediglich gut 4000 Verfahren. In 4788 Fällen wurden 2016 Bußgelder verhängt. Die meisten Verletzungen der Schulpflicht gab es demnach an Oberschulen und Berufsschulen. Zahlen für 2017 konnte das Ministerium nicht nennen. Wie hoch die Zahl der Schulschwänzer in Sachsen jedoch tatsächlich ist, weiß niemand. Denn es werden lediglich die schweren Fälle gemeldet, bei denen wegen Verletzung der Schulpflicht Verfahren eingeleitet wurden. Heißt: Der Schüler hat fünf Tage unentschuldigt gefehlt, Gespräche mit Erziehungsberechtigten haben nichts gebracht. dpa/nd
Die SPD-Politikerin und frühere Justizministerin stützte sich in ihrer Argumentation auch auf einen Passus im Koalitionsvertrag, in dem es heißt: »Schulschwänzer gehören in die Schule, nicht in den Jugendarrest«. Es sei aus Sicht ihrer Fraktion allerdings denkbar, nicht ganz auf Bußgeldverfahren zu verzichten, so Kolb-Janssen.
Die Schulpflicht ist gesetzlich festgeschrieben - und gilt in Sachsen-Anhalt von der Einschulung an mindestens neun Jahre, in der Regel jedoch zwölf Jahre. Denn sie gilt nicht nur an allgemeinbildenden Schulen, sondern später für Jugendliche auch an Berufsschulen. Wer wiederholt oder länger unentschuldigt fehlt, handelt ordnungswidrig, wie es im Gesetz heißt. Vorrang habe die Kooperation zwischen Schule und Jugendhilfe, legte das Kultusministerium bereits 2015 fest.
Bis die Schulverweigerer tatsächlich im Arrest landen, ist es ein langer Weg: Nutzen Gespräche und das Einschalten der Erziehungsberechtigten nicht, können Geldstrafen verhängt werden. Werden sie nicht gezahlt, folgen Sozialstunden - werden diese nicht abgeleistet, bleibt die Option von bis zu sieben Tagen Aufenthalt im Jugendarrest in Halle.
Das traf im Jahr 2016 in Sachsen-Anhalt knapp 200 Schülerinnen und Schüler. Im Vorjahr waren es 166. Wie aus einer früheren Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage der LINKEN-Abgeordneten Eva von Angern hervorgeht, war 2016 jeder dritte Jugendliche, der eine Arreststrafe in der Anstalt in Halle absitzen musste, ein Schulschwänzer. (Auch bei jungen Straftätern haben Richter die Möglichkeit, Jugendarrest anzuordnen).
»Am Vorrang pädagogischer Mittel im Kampf gegen Schulverweigerer bestehen keine Zweifel«, sagte Bildungsminister Tullner weiter. »Wir werden weiter daran arbeiten, die Schulverweigerung zu bekämpfen. Der Jugendarrest ist und bleibt dabei ein Instrument.« dpa/nd
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.