Niveauvoller Schlagabtausch

Die deutschen Fußballer sehen sich mit Spanien auf einem Level, der nächste Vergleich folgt

  • Frank Hellmann, Düsseldorf
  • Lesedauer: 4 Min.

Für die südamerikanische Delegation waren es gewiss nicht die idealen Kronzeugen: Dass am Sonntag Marvin Plattenhardt, Ilkay Gündogan und Leroy Sané zur Pressekonferenz der deutschen Nationalelf im Berliner Autohaus eines DFB-Sponsors erschienen, war zumindest für brasilianische Reporter und Fernsehteams nur bedingt hilfreich. Zwar haben der Linksverteidiger von Hertha BSC und die Legionäre von Manchester City von Bundestrainer Joachim Löw einen Startelfeinsatz im Klassiker gegen Brasilien (Dienstag 20.45 Uhr/ZDF) versprochen bekommen, aber für den großen Überbau des Freundschaftsspiels aus Sicht des Rekordweltmeisters taugte das Trio nicht. Denn keiner von ihnen war am 8. Juli 2014 dabei, als die Seleção in Belo Horizonte ihre schlimmste Schmach erlebte. Das 1:7, eine der tiefsten Wunden der Fußballgeschichte überhaupt.

»Ich war zu Hause auf dem Sofa und habe mich natürlich gefreut«, berichtete Plattenhardt - und zeigte ansonsten wenig Emotionen. Immerhin sprang der aus Gelsenkirchen stammende Gündogan ein, indem der damalige Rekonvaleszent (»saß damals ungläubig vor dem Fernseher«) die Brücke zu seinen vier Vereinskameraden baute, darunter die aktuellen Nationalspieler Gabriel Jesus oder Fernandinho. »Fußball ist in Brasilien Lebensfreude und hat etwas Spirituelles für sie.« Es gebe im Leben aber, empfahl Gündogan im empathischen Tonfall, »immer die Möglichkeit, etwas gerade zu rücken«. Nur könne das leider nicht morgen im Berliner Olympiastadion gelingen: »Es ist ein Freundschaftsspiel, kein Turnier.«

Allein die bereits in Düsseldorf herangetragenen Fragen an die deutschen Akteure, welche Rolle das historische WM-Halbfinale nun für das erste Wiedersehen der beiden Fußballnationen spiele, zeigen: Für Rekordweltmeister Brasilien, der nach Einschätzung von Toni Kroos seitdem gleich »zwei Klassen besser« geworden ist, geht es in dem vorweltmeisterlichen Test um ganz, ganz viel. Und für die DFB-Auswahl? »Es ist ein großes Highlight. Wir wollen gewinnen«, versicherte Plattenhardt.

Dem einzigen Lokalmatador dürfte sein sechstes Länderspiel vor allem wegen des besseren Ambientes gefallen: Die große Betonschüssel im Westend ist - im Gegensatz zu den Heimspielen von Hertha BSC - mal ausverkauft. »Brasilien ist das gleiche Kaliber wie Spanien, wenn nicht noch mit etwas mehr Offensivkraft«, glaubt Jérôme Boateng. Der gebürtige Berliner war einer der wenigen, der in die Lobhudelei nach dem 1:1 gegen Spanien nicht einstimmen wollte. »Wir wollten hinten besser rausspielen, eine bessere Aufteilung hinbekommen«, sagte der 29-Jährige und führte in der Mängelliste an: »Chancenverwertung, Passspiel, nicht so schnell den Ball verlieren. Auch das Umschalten muss besser werden.«

Erstaunlich, dass sein Nebenmann Mats Hummels sagte: »Das ist genau der Fußball, den ich mag. Die Spanier haben fantastisch gekontert.« Ihn hatten also weniger die deutschen Fehler als mehr die spanischen Fähigkeiten beeindruckt. Vielleicht liegt die Wahrheit in der Mitte, wenn zwei Weltklasseverteidiger gleichen Alters ein Spiel so unterschiedlich wahrnehmen. In einem stimmte Hummels ja Boateng zu: »Gegen Brasilien werden wir personell ein bisschen anders auftreten und dabei sehr viele Erkenntnisse gewinnen können.«

Das muss ohne die von Löw heimgeschickten Thomas Müller und Mesut Özil und den wegen Rückenbeschwerden abgereisten Emre Can geschehen. Im ersten Teil vom doppelten Härtetest hatte Löw gesehen, was er sehen wollte: einen niveauvollen Schlagabtausch auf Augenhöhe, der noch Luft nach oben lässt. Der Ästhet schien innerlich fast zu frohlocken, wie sich sein Ensemble gegen die bis an den deutschen Strafraum geschobene Pressinglinie der passsicheren Spanier wehren musste. In der Qualifikation gab es solch eine Herausforderung nämlich nie. Und so freute sich der 58-Jährige über »viele Erkenntnisse«. Interessant noch, was Kollege Julen Lopetegui beobachtet hatte: »Wenn wir die Kontrolle abgeben, ist Deutschland physisch stärker. Wenn sie rennen können, sind sie gefährlich.« Der Weltmeistertrainer widersprach indirekt: »Wir sind in der Lage, auch mit unseren Kombinationen den Gegner laufen zu lassen. Wir haben zweimal bei Turnieren gegen Spanien verloren. Da sieht man, was wir für eine Entwicklung gemacht haben.« Nun wird es interessant, ob ein Team mit dem Trio Plattenhardt, Gündogan und Sané da folgen kann.

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