• Politik
  • Debatte um soziale Sicherung

Schiefe Blicke auf Hartz IV

18,2 Millionen Betroffene in zehn Jahren, nun stellen Grundeinkommensbefürworter das System in Frage

  • Lesedauer: 2 Min.

Berlin. Kürzlich sorgte CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn mit seiner Ansicht für heftigen Widerspruch, Hartz IV sei nicht Armut, sondern die Antwort der Gesellschaft auf Armut. Die Debatte beginnt nun, das Hartz-System als solches in Frage zu stellen. So hält die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin, Malu Dreyer (SPD), die Abschaffung von Hartz IV durchaus für möglich. »Ich finde, dass diese Debatte lohnt«, sagte die SPD-Vizevorsitzende dem Berliner »Tagesspiegel«.

Sie griff damit einen Vorstoß des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Michael Müller (SPD), auf. Dieser hatte sich für die Abschaffung von Hartz IV und die Einführung eines solidarischen Grundeinkommens ausgesprochen. Man solle diesen Gedanken »aufnehmen, ernst nehmen und ihn weiterdenken«, so Dreyer. »Am Ende eines solchen Prozesses könnte das Ende von Hartz IV stehen.« Dreyer wies darauf hin, dass die Große Koalition sich bereits auf den Weg zu diesem Ziel gemacht habe. Statt Hartz IV und Wohnung solle ein regulärer, sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplatz finanziert werden.

Auch in der CDU finden sich nachdenkliche Stimmen. Der Vorsitzende der Arbeitnehmergruppe der Unionsfraktion, Uwe Schummer (CDU), fordert ein neues Kapitel in der Arbeitsmarktpolitik. »Hartz ist nicht die letzte Antwort«, sagt er. Und der CDU-Arbeitsmarktpolitiker Kai Whittaker meinte, Hartz-IV sei in seiner heutigen Form nicht in der Lage, Menschen nach langer Zeit ohne Arbeit wieder einzugliedern. Ein Neustart sei nötig.

Insgesamt 18,2 Millionen Menschen haben in den vergangenen zehn Jahren Hartz-IV-Leistungen bezogen - 9,33 Millionen Männer und 8,97 Millionen Frauen. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine LINKEN-Anfrage im Bundestag hervor, wie die Deutsche Presse-Agentur berichtet. Die hohe Zahl an Hartz-IV-Beziehern über Jahre hinweg zeige die »Verarmung breiter Bevölkerungsteile«, sagte Sabine Zimmermann, die die Anfrage gestellt hatte. »Besonders bitter ist, dass auch so viele Kinder die Erfahrung des entwürdigenden Bezugs von Hartz-IV-Leistungen machen«, meint die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linksfraktion.

Während Malu Dreyer hofft, dass Langzeitarbeitslose mit einem Grundeinkommen aus dem Hilfebezug herauskommen, hält IG-Metall-Chef Hofmann nichts von einem solchen staatlichen Regularium. »Das Bemühen, möglichst vielen Menschen einen Arbeitsplatz zu geben, steht mir bei solchen Ideen zu wenig im Vordergrund«, sagte Hofmann den Zeitungen der »Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft«. Auch Manager wie der Siemens-Chef Joe Kaeser wollten auf diese Weise »schlicht die Folgelasten des Rationalisierungsschubs sozialisieren«. Der neue Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) präzisierte unterdessen die Pläne der Großen Koalition für Lohnkostenzuschüsse für Langzeitarbeitslose. »Ich stelle mir einen Lohnkostenzuschuss für fünf Jahre vor, der langsam abschmilzt«, sagte er der »Süddeutschen Zeitung«. nd/Agenturen

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.