- Kommentare
- Familiennachzug
»Das Chaos in Ordnung verwandeln …
Kathrin Gerlof über die deutsche Ordnung und einen jungen Afghanen, der hier gern Feuerwehrmann werden möchte
… um den Preis dessen, was man gemeinhin Vernunft nennt.« Der Autor Roberto Bolano muss uns Deutsche ziemlich gut gekannt haben. Wir wollen Ordnung, wir haben Angst vor dem Chaos, wir können Unwägbarkeiten nicht ausstehen, die sich am besten vermeiden lassen, wenn man unter sich bleibt. Deshalb ist es zum Beispiel gut, den Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz bis Ende Juli weiter auszusetzen. Quoten sind auch gut. Die kommen dann nach der Aussetzung. Ohne Quote Chaos. Subsidiär, dieses schwer auszusprechende Wort, soll uns in die Irre lenken. Wir sollen denken: Die nur einen subsidiären Schutz haben, sind nicht berechtigt, hier zu sein. Aber wir sind nett und lassen sie. Benutzten wir stattdessen das Wort humanitärer Schutz, wäre es nicht so einfach, das zu denken. Tun wir aber nicht.
»Der wesentliche Inhalt des humanitären Schutzes besteht in der Zusicherung, jemanden nicht in den Staat abzuschieben, in dem ihm Gefahr droht«, schreibt Pro Asyl. Außerhalb unseres Ländles droht an vielen Orten der Welt Gefahr.
Trotzdem, Aussetzung des Familiennachzugs verringert Chaos. Das Bundesverfassungsgericht hat 1987 entschieden, dass auch Ausländer sich auf die Respektierung ihrer familiären Bindungen nach Artikel 6 des Grundgesetzes berufen können und dass zum Beispiel eine starre dreijährige Wartefrist unzulässig ist. Das klingt angesichts der aktuellen Aussetzungspolitik schräg. Vielleicht schafft es jemand, das Urteil mittels einer Klage in Einklang zu bringen mit den Beschlüssen der Politik. So ein Grundgesetz ist ja nicht nichts.
Im Grundgesetz steht, Ehe und Familie stünden unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Vielleicht liegt die Betonung auch hier auf Ordnung. Geflüchtete und dann noch deren ganze Familien bedeuten jedoch Chaos. Hier wäre und ist also Abwägung notwendig. Ist uns Familie wichtig oder Ordnung? Die Entscheidung kann nicht schwer sein. Wir lieben nun mal die Ordnung.
Bleiben wir beim Grundgesetz und bei den chaotischen Geflüchteten, das ist spannend. Es gibt unter denen ja eine ganze Menge, die wirklich hierbleiben und sehr gern was lernen und arbeiten möchten. Das sei ihnen gegönnt. Hauptsache, sie stören die Ordnung nicht.
Die Autorin kennt einen jungen Afghanen, der sich trotz seiner Minderjährigkeit sehr anstrengt und auch noch einen ganz großen Traum hat: Er möchte bei der Feuerwehr arbeiten. Die Feuerwehr ist angetan und lässt den Jungen im Rahmen eines Praktikums zeigen, was er kann. Eine Menge. Alle sind froh und zufrieden. Gar nicht ausgeschlossen, dass der Junge, schafft er seinen Schulabschluss, später mal Feuerwehrmann wird. Denkt man so. Und geht auf die Webseite der Feuerwehr. Schöne Seite, ein großes Herzlich Willkommen.
Dann steht da aber unter der Frage »Haben auch Ausländer eine Chance bei der Feuerwehr?«: Eingestellt wird, wer Deutscher im Sinne des Artikels 116 des Grundgesetzes ist oder wer die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedsstaates der Europäischen Union besitzt. Bewerber mit Migrationshintergrund sind ausdrücklich erwünscht, um einen Querschnitt der Bevölkerung auch innerhalb der Feuerwehr abzubilden, was auch im Einsatz von Vorteil sein kann.
Man rennt ja nicht andauernd mit dem Grundgesetz in der Tasche rum und auswendig kann es auch keiner. Artikel 116 also: Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.
Das ist jetzt aber blöd für den jungen Afghanen. Und vielleicht auch für die Feuerwehr. Wie schafft die es denn nun, den Querschnitt der Bevölkerung abzubilden? Mitsamt Islam und so, der ja dazu gehört?
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.