Europas Diktatoren-Dilemma

In Warna empfingen die EU-Spitzen Juncker und Tusk den türkischen Präsidenten. Ein Treffen ohne Ergebnisse

  • Nelli Tügel
  • Lesedauer: 3 Min.

»Der Beitritt zur EU bleibt unser Ziel.« Sprach der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan nach seinem Treffen mit Vertretern der Europäischen Union im bulgarischen Warna am Schwarzen Meer. Am Montagabend hatten dort EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk mit Erdoğan bei Schwarzmeer-Steinbutt, Kalbsfilet und Lammkotelett eine Reihe Gesprächsthemen abzuarbeiten. Die sind in den vergangenen Wochen nicht weniger geworden: Zuletzt kamen die Inhaftierung von zwei griechischen Soldaten in der Türkei und die von der EU als rechtswidrig gegeißelte türkische Blockade von Erdgasbohrungen vor Zypern hinzu. Unbehagen bereitet der EU auch der türkische Krieg gegen die überwiegend kurdischen Milizen YPG und YPJ in Nordsyrien, den Bundeskanzlerin Angela Merkel in der vergangenen Woche erstmals »auf das Schärfste« verurteilt hatte.

»Was ich sagen kann, dass ich alle unsere Bedenken geäußert habe«, meinte Tusk anschließend bei der gemeinsamen Pressekonferenz. Und fügte hinzu: »Wenn Sie mich fragen, ob wir Lösungen oder Kompromisse erzielt haben, lautet meine Antwort: Nein.« Erdoğan hingegen forderte, die EU-Beitrittsverhandlungen fortzusetzen. Darüber mag man in der EU nur müde lächeln - doch tätigt der türkische Präsident solcherlei Äußerung nicht, um damit die Vertreter des Staatenbundes zu überzeugen, sondern, um seinen Anhängern in der Türkei zu imponieren. Einen wirklichen Beitritt strebt er längst nicht mehr an. Sehr viel ernster gemeint dürfte hingegen die Forderung gewesen sein, die Zollunion zwischen EU und Türkei zu erweitern, was auch aus der deutschen Wirtschaft gefordert wird. Unter anderem Deutschland hatte angekündigt, einer solchen schon länger geplanten Erweiterung vorerst nicht zuzustimmen - dies war allerdings, bevor Deniz Yücel aus türkischer Haft entlassen wurde.

Das Treffen in Warna hat gezeigt: Die EU steckt mit Erdoğan in einem Diktatoren-Dilemma. Der Flüchtlingsdeal soll nicht platzen, die wirtschaftlichen Beziehungen zur Türkei sind eng und für beide Seiten wichtig. Zudem herrscht Angst, dass das NATO-Mitglied Türkei sich vom Westen ab- und Russland zuwenden könnte. Also ist man bereit, nicht nur den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen, sondern Erdoğan Bühnen zu geben wie jene in Warna.

Denn allein die Tatsache, dass dieser dort angereist ist, zeigt, wie sehr die EU den rasanten Abbau bei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit deckt. Formal ist Erdoğan nach der noch geltenden Verfassung nicht der Regierungschef, sondern lediglich Präsident mit repräsentativen Aufgaben. Der seit Juli 2016 herrschende, seither mehrfach verlängerte Ausnahmezustand ermöglicht es ihm jedoch, per Dekret zu regieren - für die EU ist er längst der Ansprechpartner, sie hat die Verhältnisse akzeptiert.

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