Wenn der letzte Gasthof schließt

Initiativen zur Rettung von dörflichen Wirtshäusern sind inzwischen vielerorts aktiv - doch es gibt nicht nur Beifall

  • Helen Hoffmann, Holdorf
  • Lesedauer: 4 Min.
Maik Escherhaus will ein Gasthaus retten. »Ich kann es nicht akzeptieren, dass wir diesen Mittelpunkt verlieren«, sagt der 40-Jährige, der mit seiner Frau und zwei Söhnen im niedersächsischen Dorf Handorf-Langenberg lebt. Als klar war, dass es für die letzte im Ortsteil verbliebene Kneipe »Zum Schanko« keinen Nachfolger gibt, startete er mit zwei anderen Männern eine Aktion: Die Gründung einer Genossenschaft, um das Haus zu kaufen und über einen Pächter weiter zu betreiben.

Bis 4. April konnten Bürgerinnen und Bürger Anteile von je 250 Euro zeichnen. »Wir brauchen 800 Anteile, bis das ganze Objekt übernommen werden kann«, sagt Escherhaus, der zuversichtlich ist, dass es in Zukunft ein Dorfgemeinschaftshaus »Zum Schanko« geben wird. »Wir haben einen herausragenden Zusammenhalt im Dorf. Viele haben den Wunsch, das zu erhalten«, sagt Escherhaus. Räumlichkeiten für Stammtische, Vereine und geselliges Beisammensein seien enorm wichtig - auch die Kinder sollten später einen Treffpunkt haben. »Das muss klappen. Wir haben so viel Engagement reingesetzt.«

Initiativen zur Rettung von dörflichen Gasthäusern gibt es bundesweit. Nach einem starken Rückgang der Wirtshäuser in ländlichen Regionen Bayerns haben dort einige Gemeinden Lösungen gefunden. Zum Beispiel in Günzach im Ostallgäu. »Innerhalb eines Vierteljahres sanierten die Günzacher Bürger mit 6000 Stunden ehrenamtlicher Arbeit das Anwesen - von der Jugend bis zum Rentner waren dabei im Dorf alle beim Wiederaufbau der Dorfwirtschaft beteiligt«, heißt es zum Beispiel über den Gasthof »Hirsch« im Örtchen.

Die Wege, ein Wirtshaus wiederzubeleben, sind vielfältig. Neben Gemeinden, die Gasthäuser kaufen und mit Hilfe der Bürger zu Dorfgemeinschaftshäusern mit Restaurant umbauen, gibt es zunehmend auch Genossenschaften. Das bestätigt auch der Genossenschaftsverband. Zwar schlüssele die Mitgliederstatistik nicht auf, wie viele Genossenschaften eine Gaststätte betreiben. »Klar ist aber, dass es in der Tat zahlreiche Beispiele dafür gibt«, sagt Marcell Haag und berichtet von Initiativen zur »Rettung des Dorflebens« etwa in Nordrhein-Westfalen. Entscheidend für den Erfolg solcher Projekte sind Haag zufolge die Leute vor Ort. »Ohne bürgerschaftlichen, ehrenamtlichen Einsatz sind solche Projekte meistens zum Scheitern verurteilt.«

Der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga hat keine Zahlen zu solchen Genossenschaften, geht aber nicht von einem Boom aus. »Es ist kein Massenphänomen«, sagt die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes, Ingrid Hartges, in Berlin. Fakt sei: »Auf dem Land sterben die Gasthöfe aus.« Dass Kommunen versuchen, Lösungen zu finden, sei verständlich. Aber: »Es darf nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führen - wenn eine Art von Gastronomie gefördert wird und der klassische Gastronom diese Förderung nicht bekommt.« Der Geschäftsführer des Dehoga Niedersachsen, Rainer Balke, steht Genossenschaftsmodellen skeptisch gegenüber. Diese änderten nichts an den schlechten Bedingungen für Gastronomen auf dem Land, sagt er. »Für kleine Betriebe ist die Lage enorm schwierig.«

Der bürokratische Aufwand, so Balke, sei hoch, die Suche nach Personal und Kunden oft schwer. »Problematisch ist, wenn Kommunen, die Angst davor haben, dass ihr letztes Gasthaus schließt, zulassen, dass andere Standards gelten.« Es dürfe zum Beispiel nicht sein, dass andere Bauordnungsvorgaben gelten, nur damit es noch eine Kneipe im Ort gibt. »Wir haben Angst davor, dass über Genossenschaftsmodelle das ganze Gefüge ins Ungleichgewicht gebracht wird.«

Torsten Söder aus dem niedersächsischen Kirchboitzen kann diese Sorgen nicht verstehen. Er ist froh, dass es das Hotel und Restaurant »Zum Domkreuger« noch gibt. »Als Dorf haben wir die Gefahr gesehen: Wenn es einmal schließt, wird es hier kein Gasthaus mehr geben«, erzählt der 40-Jährige aus dem Ort, der zu Walsrode im Heidekreis gehört. »Aus dieser bierlaunigen Idee wurde dann schnell Realität.« Ende 2015 gründeten Söder und andere Bürger die Genossenschaft Kirchboitzer Zukunft, kauften und renovierten das Gebäude, in dem es Söder zufolge seit rund 280 Jahren Gastwirtschaft gibt. »Das war eine wahnsinnige Energieleistung des Dorfes und der Nachbardörfer«, sagt er. Seit Mai 2016 ist das Haus verpachtet, in diesem Mai übernimmt ein Ehepaar aus der Region den Betrieb. »Wir haben uns darum gekümmert, dass Geschichte erhalten bleibt.«

In Handorf-Langenberg, das zur Gemeinde Holdorf gehört, hoffen Maik Escherhaus und seine Mitstreiter auf einen ähnlichen Erfolg. »Wir erleben momentan eine große Welle der Begeisterung - bei Menschen, die Anteile zeichnen wollen und Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren wollen.« Die Pläne für die Sanierung des Gebäudes liegen vor. »Es soll seinen Charakter behalten, aber mit Pfiff«, sagt Escherhaus. Ob es tatsächlich so kommt, wird Escherhaus bald wissen. Bis 4. April können Bürgerinnen und Bürger Anteile zeichnen, damit 200 000 Euro für den Kauf bereit stehen. Weitere 250 000 Euro werden für die Sanierung gebraucht - dabei hoffen die Leute in Handorf-Langenberg auch auf öffentliche Förderung. dpa/nd

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