Gefängnis statt Comeback

Oberstes Gericht Brasiliens entschied gegen den früheren Präsidenten Lula

  • Andreas Behn, Rio de Janeiro
  • Lesedauer: 4 Min.
Tausende Menschen demonstrieren vor dem Obersten Gericht in Brasília und vielen anderen brasilianischen Städten - die einen für und die anderen gegen Luiz Inácio Lula da Silva. Die denkbar knappe Gerichtsentscheidung am Donnerstag gegen den Ex-Präsidenten spiegelt die gespaltene Stimmung im Land wider.

Mit sechs zu fünf Richterstimmen wies der Oberste Gerichtshof den Antrag der Verteidigung auf Haftverschonung für Lula ab. Das Gericht bestätigte damit eine seit 2016 gültige Rechtsprechung, die eine Inhaftierung nach Verurteilung in zweiter Instanz erlaubt. Der 72-jährige Lula war im Januar von einem Berufungsgericht wegen Korruption und Geldwäsche zu zwölf Jahren und einem Monat Gefängnis verurteilt worden.

Die Gegner der Arbeiterpartei (PT) feiern, ebenso wie vor knapp zwei Jahren, als Lulas Nachfolgerin Dilma Rousseff mit einem Amtsenthebungsverfahren abgesetzt worden war. Das Ziel von Lulas politischen Widersachern: Einen erneuten Wahlsieg Lulas, Präsident von Anfang 2003 bis Ende 2010, beim nächsten Urnengang zu verhindern. In Umfragen liegt der frühere Staatschef deutlich vor all seinen Kontrahenten. Doch sein erhofftes Comeback dürfte nun endgültig verhindert worden sein.

Lulas Unterstützer und die PT sehen darin das Ergebnis einer Intrige. Schon Rousseffs Amtsenthebung bezeichneten sie als Putsch und den konservativen Nachfolger Michel Temer als »illegitimen« Präsidenten. Der Vorwurf der Korruption sei ein Vorwand, um Lula ins politische Abseits zu rücken, kritisieren seine Anwälte.

Im Gerichtssaal herrschte ebenfalls Konfrontation. Obwohl die Standpunkte der Richter weitgehend bekannt waren, wurden lange, juristisch verklausulierte Diskurse gehalten und internationale Vergleiche bemüht. Alle betonten, dass nicht über Lula, sondern über die Auslegung der Verfassung gestritten wurde. Im Kern ging es um die Frage, ob die heutige Rechtsprechung, die eine Inhaftierung nach Verurteilung in zweiter Instanz erlaubt, korrekt ist.

Die Befürworter des Status quo begründeten ihr Votum zumeist mit der Notwendigkeit, Straffreiheit zu vereiteln. Viele Schwerverbrecher und gerade Korrupte mit guten Anwälten würden durch den langen Instanzenweg oft dem Gefängnis entgehen. Die Gegner dieser Rechtsauslegung machen geltend, dass die Unschuldsvermutung solange gelten muss, bis ein rechtskräftiges Urteil gesprochen wurde. Dieser Grundsatz steht in der Verfassung von 1988. Seit 2016 gilt aber die neue Rechtsprechung, nachdem damals ebenfalls sechs der elf Mitglieder des Obersten Gerichtshofs für eine schnellere Inhaftierung stimmten.

»Eine vorzeitige Vollstreckung der Strafe ist unvereinbar mit der verfassungsmäßigen Unschuldsvermutung«, erklärte Lulas Verteidiger Cristiano Zanin Martins. Zudem sei die Verurteilung seines Mandanten nur aufgrund fragwürdiger Kronzeugenaussagen, aber ohne Beweise zustande gekommen. In dem Korruptionsverfahren ging es um ein Strandappartement, das dem Ex-Präsidenten von einem Bauunternehmen als Gegenleistung für politische Gefälligkeiten überlassen worden sein soll.

Die PT, die Brasilien fast 14 Jahre lang erfolgreich regiert hatte, muss sich nun neu orientieren. Auch wenn es noch Berufungsoptionen für Lula gibt, ist wahrscheinlich, dass er aufgrund der Verurteilung nicht kandidieren darf. Doch ohne das Zugpferd Lula kann die PT nicht auf große Wählergunst hoffen. Der riesige Korruptionsskandal und die schwere Wirtschaftskrise, die am Ende der PT-Regierungszeit begann, haben sie viele Stimmen gekostet. Vom Flair einer politischen Erneuerung, mit der die linke Partei einst angetreten war, ist nichts mehr übrig.

Allerdings sieht es in anderen politischen Lagern nicht viel besser aus. Der Korruptionsskandal um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras und Bauunternehmen, die Parteikassen füllten und Politiker schmierten, zieht die ganze politische Klasse in Mitleidenschaft. Die Partei der brasilianischen Sozialdemokratie wie auch die Parteien der Regierungskoalition des konservativen Präsidenten Michel Temer stecken in einem Umfragetief, zumal gegen viele ihrer Spitzenpolitiker Korruptionsermittlungen laufen. Temer selbst entging im vergangenen Jahr zwei Korruptionsverfahren aufgrund der Mehrheit seiner Partei, die ihm Immunität zusicherte.

Immer häufiger ist von Brasilianern der Satz zu hören: »Die Politiker sind doch alle korrupt.« Von dieser Politikverdrossenheit profitiert vor allem der Rechtsaußen Jair Bolsonaro, der oft mit US-Präsident Donald Trump verglichen wird. Der frühere Fallschirmjäger Bolsonaro provoziert gerne mit sexistischen und homophoben Sprüchen. Zur Lösung des Korruptionsproblems plädiert er für eine Politik der harten Hand oder gleich eine Rückkehr des Militärs an die Macht.

Armeekommandant Eduardo Villas Bôas hatte kurz vor Prozessbeginn per Twitter erklärt, dass das Militär Straffreiheit ablehne und sich seiner institutionellen Mission bewusst sei. Die diffuse Drohung wurde von vielen als unangemessen abgelehnt, Amnesty International sprach von einer Bedrohung der Demokratie. Auch einer der obersten Richter kritisierte den General dafür ausdrücklich während seines Plädoyers.

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