Der Typ ist begehrt

Die Platte ist noch lange nicht tot. Sie soll dazu beitragen, das Wohnungsproblem zu lösen

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.

Wir wollen nicht, dass serielles Bauen mit Plattenbauten identifiziert wird«, sagt Barbara Ettinger-Brinckmann bestimmt bei ihrem Vortrag auf der Berliner Baumesse Bautec im Februar. Die Präsidentin der Bundesarchitektenkammer will auf keinen Fall, dass die »Rahmenvereinbarung serielles und modulares Bauen« in den Ruf kommt, die städtebaulichen Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. »Viele denken bei dem Thema an die Plattenbauweise der 1960er und 1970er Jahre. Doch das serielle Bauen ist viel älter - und schöner. Schon zur Weltausstellung 1851 in London entstand mit dem Crystal Palace ein riesiges vorgefertigtes Bauwerk«, sagt Monika Thomas, Leiterin der Abteilung Bauwesen, Bauwirtschaft und Bundesbauten im Bundesbauministerium. In einer europaweiten Ausschreibung suchen das Ministerium sowie die Bundesverbände von Wohnungs- und Bauwirtschaft Anbieter für den Wohnungsbau. Fünf bis zehn verschiedene Hausbaukästen sollen in dem seit Juni 2017 laufenden Verfahren ausgewählt werden, die dann bundesweit von den rund 3000 Mitgliedern des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) realisiert werden können. »Über 60 Prozent unserer Mitglieder sind daran interessiert«, berichtet GdW-Präsident Axel Gedaschko. Irgendwann im Frühsommer sollen die siegreichen Teilnehmer bekanntgegeben werden.

Den Grund für das Interesse benennt Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbunds: »In Deutschland fehlen eine Million Wohnungen und die Mieten, insbesondere in den Städten, sind für viele Menschen kaum noch bezahlbar.« Denn seit Jahren wird zu wenig gebaut. Mindestens 400 000 Wohnungen müssten es nach Berechnungen des Pestel-Instituts jährlich sein. Trotz steigender Fertigstellungszahlen wurden auch 2017 geschätzt nur 320 000 Wohneinheiten fertig. Dazu steigen auch noch die Baupreise rasant. Allein in den letzten Jahren um rund 20 Prozent, so Ingo Malter, Geschäftsführer des Berliner landeseigenen Wohnungsunternehmens Stadt und Land. Zusammen mit den noch viel schneller steigenden Baulandpreisen in den Städten eine Kobination, die den Neubau leistbaren Wohnraums sehr schwierig macht.

Ein Problem, mit dem Schweden schon lange zu kämpfen hat. Dort fehlt fast eine halbe Million Wohnungen - angesichts von knapp zehn Millionen Einwohnern ist die Wohnungsnot im Vergleich viel größer. SABO, der Gesamtverband gemeinnütziger Wohnungsunternehmen Schwedens, reagierte darauf mit der Entwicklung von Kombohus. Dahinter verbirgt sich ein Modulhaussystem, für das drei Typen entwickelt wurden, die landesweit von allen Mitgliedsunternehmen gebaut werden können. Dazu wurde ein Rahmenvertrag mit drei Baukonzernen geschlossen. »Wir haben es geschafft, die Preise um rund 25 Prozent zu senken sowie Risiken zu minimieren und dabei gleichzeitig viel schnellere und einfachere Abläufe zu ermöglichen«, resümierte Petter Jurdell, Leiter der Immobilienentwicklung bei SABO, nach Abschluss der ersten Pilotphase im März 2015. 4000 Wohnungen entstanden so in etwas über zweieinhalb Jahren, 11 000 sollen es insgesamt werden.

In Deutschland ist der private Immobilienkonzern Vonovia ein Vorreiter bei der Reindustrialisierung des Bauens. Bereits Ende 2016 stellte das Unternehmen ein Haus mit 14 Wohnungen in Bochum fertig. Nur drei Monate hatte der Bau gedauert. Rund um einen herkömmlich gebauten Treppenhauskern aus Beton wurden insgesamt 45 Holzmodule montiert. Bereits ab Werk waren die containerartigen Elemente mit Fenstern, Türen, Leitungen und Anschlusspunkten für den Zusammenbau vorbereitet, angeliefert wurden sie mit Lastwagen. »Die Badezimmer sind fertig eingerichtet und gefliest, in den anderen Räumen sind sogar die Wände schon tapeziert«, sagt Vonovia-Sprecher Max Niklas Gille. Inzwischen habe man bundesweit mehrere Modulhäuser fertiggestellt und sei nach wie vor sehr zufrieden, besonders mit den Baukosten von 1800 Euro pro Quadratmeter. Nach immobilienwirtschaftlicher Rechnung ergibt das ohne Grundstückskosten eine Kaltmiete von um die acht Euro pro Quadratmeter. Das ist ein hervorragender Wert für Neubauten, bei herkömmlicher Bauweise werden inzwischen Preise um die 2500 Euro pro Quadratmeter aufgerufen. So viel von der Ersparnis gibt die Vonovia als renditeorientierter Konzern nicht an ihre Mieter weiter. Bei Genossenschaften und städtischen Wohnungsbaugesellschaften sähe die Sache wohl anders aus.

Etwas verbreiteter ist der Typenbau. Dabei handelt es sich um Bauwerke, die nach dem gleichen Entwurf mehrfach in gleicher Weise errichtet werden. Dabei geht es grundsätzlich nur um die Gebäudeplanung und die wiederholte Verwendung. Die sechs Berliner landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften haben mehrere Modelle in Auftrag gegeben, darunter ein Hochhaus von Kleihues & Kleihues Architekten. Vor Ort soll nur der Betonkern entstehen, die restlichen Bauteile werden vorgefertigt angeliefert. Für die Montage einer Etage veranschlagen die Architekten jeweils nur einen Werktag. Eine Realisierung ist für die HOWOGE jedoch noch Zukunftsmusik.

Da ist das ebenfalls landeseigene Wohnungsunternehmen Stadt und Land deutlich weiter. Der Bau des von Mars Architekten entworfenen Typenhauses hat vor wenigen Tagen begonnen. Drei bis acht Geschosse kann das Gebäude haben, das die Architekten als eine Weiterentwicklung der klassischen Berliner Mietskaserne sowie der Wohnbauserie 70 der DDR verstehen. Mit dem ausgehandelten Baupreis ist Geschäftsführer Ingo Malter hochzufrieden. Kommunale Wohnungsbaugesellschaften in Bremen und München haben bereits gute Erfahrungen mit typisierten Gebäuden gemacht, über konkrete Preise sprechen wollen sie allerdings nicht.

Das Interesse an der Ausschreibung für den bundesweiten Rahmenvertrag für serielles Bauen ist groß. Rund 50 Unternehmen haben sich daran beteiligt, berichtet Michael Neitzel vom Institut für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regionalentwicklung. »Es ist durchaus möglich, dadurch mehr Baukapazitäten in den Markt zu bringen«, sagt er. Denn neben dem Preis ist der schlichte Mangel an Auftragnehmern ein großes Problem im Wohnungsbau.

»Es gibt zehn bis 20 Unternehmen, die bereit sind, viel Geld in den Auftrag zu investieren«, sagt Klaus Pöllath vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie. Um bundesweit liefern zu können, müssen auch neue Fertigteilwerke entstehen. Sehr weit lassen sich die Bauteile nämlich nicht effizient transportieren. Damit ist klar, dass nur große Baukonzerne zum Zuge kommen können. Der Stadtsoziologe Andrej Holm hält die Etablierung einer gemeinnützigen Bauwirtschaft eher für das geeignete Instrument, um den Wohnungsbau besser steuern zu können.

Pöllath fürchtet vor allem die Ablehnung der Bürger. »Wir müssen ihnen zeigen, dass das serielle und modulare Bauen funktioniert. Wenn wir erst einmal 1500 Einheiten gebaut haben, wird es einen Schub geben«, so der Baulobbyist. Die ersten Bauten des Rahmenvertrags sollen ab 2019 auf der Internationalen Bauausstellung in Thüringen zu bewundern sein. Die Spatzen pfeifen es jedoch schon von den Dächern: So billig wie erhofft wird die neue Platte nicht werden.

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