Die Kommune steuert den Bau

Tübingen gilt als Vorbild bei der Errichtung bezahlbarer städtischer Wohnquartiere

  • Dirk Baas, Tübingen
  • Lesedauer: 3 Min.

Während die Mieten weiter kräftig steigen, sinkt die Zahl der Sozialwohnungen dramatisch - die Suche nach bezahlbaren vier Wänden gleicht zumindest in den Metropolen längst einem Lotteriespiel. Doch die Lokalpolitik steuert dagegen, wie der Blick nach Tübingen oder Zürich zeigt. Billig ist der Wohnraum hier auch nicht, aber er gilt als »bezahlbar«.

Cord Soehlke ist Tübingens Baubürgermeister. Der parteilose Baudezernent, der in Kassel Architektur studierte, ist seit 2010 im Amt. Er beweist, wie eine Kommune Wohnraum schaffen kann, den sich auch der Mittelstand leisten kann. Liberaler Städtebau, in dem die Kräfte des Marktes ungezügelt agieren, ist ihm ein Gräuel: »Wir überlassen nichts dem Spiel der Kräfte«. Die Kommune steuere den Bau bunter Quartiere »bis zu zur letzten Straßenlaterne«, sagte Soehlke der Zeitschrift »Publik-Forum«.

Seine Lösung: Investitionen. Die Stadt müsse die bebaubaren Grundstücke kaufen. Nur so könne sie Planung, Bürgerbeteilung und künftige Bewohnerstruktur selbst aktiv steuern. »Soziale Mischung, Nutzungsvielfalt und Kleinteiligkeit werden länger gesichert, wenn die Kommune sie mit dem Verkauf der Grundstücke koppelt«, schreibt er im Kasseler Magazin »StadtZeit«.

Forscher bestätigen diese Prämisse. Lange Zeit hätten die Gemeinden ihre Grundstücke einfach an den meistbietenden privaten Bauträger verkauft, der mit teuren und vor allem großen Eigentumswohnungen Profit machte. »Damit hat man Stadtentwicklungsziele aus der Hand gegeben«, sagt Ricarda Pätzold vom Deutschen Institut für Urbanistik. Aktive Stadtentwicklung könnten Kommunen nur betreiben, wenn sie auch am Hebel sitzen und die Flächen zuvor gekauft haben.

Diesen Politikansatz unterstreicht auch die Konrad-Adenauer-Stiftung: »Die größten Einflussmöglichkeiten ergeben sich über das Eigentumsrecht.« Aber, so heißt es weiter: »Wohnungsbau und vorausschauende Bodenbevorratungspolitik bringen jedoch vor allem in der Anfangsphase einen hohen Kapitalbedarf mit sich, der im Widerspruch zur angespannten Finanzlage der Kommunen steht.«

Der zweite Tübinger Grundsatz: Die erworbenen Grundstücke werden möglichst kleinteilig wieder vergeben, bevorzugt an Baugemeinschaften. Sie errichteten laut Soehlke rund 75 Prozent aller Bauten. Und, so heißt es auf Nachfrage: Viele der Wohnungen sind vermietet und eben nicht von den Eigentümern selbst genutzt.

Tübingens Stadtentwicklung geht zusätzlich zum klassischen sozialen Wohnungsbau seit den 1990er Jahren einen Sonderweg. Damals verließen die Franzosen die Kasernen in der Südstadt. Die Stadt kaufte die Grundstücke. Sie erschloss das Baugebiet. Anschließend verkaufte sie die Bauplätze in kleinen Parzellen zu Festpreisen möglichst an künftige Nutzer.

Doch wie schaffte es die Stadt, dass sich auch Krankenschwestern und Polizisten eigenen Wohnraum leisten können? Die Antwort liegt laut Baubürgermeister Soehlke im Prinzip der Baugemeinschaften. Familien, Alleinstehende, Gewerbetreibende oder Investoren schließen sich zusammen, um nach ihren Vorstellungen ein Stadthaus zu errichten. Diese Bündnisse könnten im Schnitt 20 Prozent günstiger bauen, weil keine kostentreibenden Bauträger beteiligt sind.

Dass auch der soziale Wohnungsbau nicht vergessen wird, zeigt die Stadt mit ihrem jüngsten Bauvorhaben. Südlich der Bahnlinie am ehemaligen Güterbahnhof entsteht ein neues Quartier mit 570 Wohnungen, 40 Büros und kleineren Betrieben. 20 Prozent der Flächen sind für den sozialen Wohnungsbau reserviert.

Als Musterbeispiel genossenschaftlichen Bauens gilt das Quartier »mehr als wohnen« in Zürich. Auf einem ehemaligen Industriegelände am Rande Zürichs zeigen rund 50 Schweizer Wohngenossenschaften ihre Leuchttürme. Gebaut wurden unterschiedliche Wohnungsgrößen und Wohnformen. Von der Ein-Zimmer-Wohnung über das Studio bis hin zur Zwölf-Zimmer-WG ist alles zu haben: 1200 Bewohner zählt das Quartier. Und es gibt auch viele gemeinschaftliche Initiativen, wie etwa eine Fahrradwerkstatt oder das »Café International«.

Dass die Wohnungen begehrt sind, hat auch mit ihrem Preis zu tun: Den Angaben nach liegen die Mieten bis zu 30 Prozent unter denen des freien Marktes. Aber: Echte Schnäppchen sind auch das nicht. epd/nd

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