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Mietenwahnsinn greift auch bei Gewerbe um sich
Flächenkonkurrenz ist das dominierende Thema bei der Erarbeitung des Stadtentwicklungsplans Wirtschaft
»Früher hätte man über Vieles reden können, aber für den Ankauf von Grundstücken war kein Geld da«, sagt Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (LINKE) rückblickend. Dabei geht es einmal nicht um die Wohnungsfrage, sondern um Flächen für Industrie und Gewerbe, denn die Veranstaltung in den Reinbeckhallen in Oberschöneweide am Montagabend ist der Auftakt der Bürgerbeteiligung zur Entwicklung des Stadtentwicklungsplans (StEP) Wirtschaft.
Seit der letzten Aktualisierung 2011 haben sich die Rahmenbedingungen deutlich verändert. »Damals hatte ich noch gesagt, dass wir kein Flächenproblem haben«, so Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne). Wirtschaftswachstum und die wachsende Stadt haben eine starke Konkurrenz um die noch verbliebenen Flächen entbrennen lassen. »Treiber ist vor allem die Digitalwirtschaft«, erklärt Pop. Allein zwei Milliarden Euro Wagniskapital seien 2017 in die Stadt geflossen. »Das macht etwas mit der Stadt, diese Branche arbeitet anders«, sagt die Wirtschaftssenatorin. Im Gegensatz zur klassischen Industrie dränge sie in die Innenstädte. Ein Ergebnis sei, dass Kitabetreiber keine Ladenlokale mehr in der Innenstadt fänden. »Wir wollen auf der Bundesebene anfangen, das dicke Brett der Regulierung der Gewerbemieten aufzubohren«, kündigt Pop an. Eine der wichtigsten Aufgaben für den StEP sei der Aufbau eines validen Gewerbeflächenkatasters. »Wir wollen die Gewerbeflächen in der jetzigen Größe sichern.« Gegen Kompensation an anderer Stelle soll es aber durchaus möglich sein, Flächen zum Beispiel für Wohnungsbau umzuwidmen.
Es sei bemerkenswert, dass Berlin die wirtschaftliche Wende geschafft habe, und »wir könnten uns alle auf die lokalpatriotische Schulter klopfen, dass Google mit seinem Campus hier ist«, sagt der Stadtforscher Felix Hartenstein. In Bezirken wie Friedrichshain-Kreuzberg werde es allerdings »langsam ein bisschen viel«. Die Leute fragten sich, wo sie denn blieben. Die Investments gingen letztendlich vor allem in »Betongold«. »Ja, diese Entwicklung schafft Jobs. Auf der anderen Seite werden Existenzen bedroht und Menschen verdrängt«, erklärt Hartenstein. Er fordert, dass die betreffenden Firmen das anerkennen und eine »Verantwortungspartnerschaft« eingingen, damit die urbanen Qualitäten erhalten bleiben.
»Wir brauchen auch bei Gewerbeprojekten eine kooperative Baulandentwicklung analog zum Wohnungsbau«, fordert der Friedrichshain-Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne).
»Wir wollen einen Mehrwert schaffen für potenzielle Gründerinnen und Gründer, Studenten und für die im Kreuzberger Kiez Lebenden einen Beitrag leisten für die Digitalisierung und die digitale Bildung«, sagt Google-Sprecher Ralf Bremer. Dass der Konzern sich hier engagiere, sei ein »tolles Signal für Berlin«. Mangelndes Bewusstsein für die Bedürfnisse der ansässigen Bewohner will er sich nicht vorwerfen lassen. Er hebt das Engagement für »Social Entrepreneurship« hervor, also soziales Unternehmertum. In diesem Bereich stünden Kooperationen mit »Rock it biz« sowie dem »Singa Business Lab« stünden bereits fest. Die eine Stiftung hat das Ziel, Gründergeist in Schulen bringen, das andere Projekt unterstützt Migranten bei der Unternehmensgründung.
»Mich überzeugt das nicht«, widerspricht Janosch Somer von der Initiative »Counter Campus« der sozialen Ausrichtung. »Leute sollen zu Subjekten herangezogen werden, die sich in einem Hochkonkurrenzmarkt durchsetzen können«, kritisiert er. »Es ist nicht so, dass wir Konkurrenzdenken ohne nachzudenken fördern«, erklärt der Google-Sprecher Bremer. Somer wird bei der Mietendemo am Samstag gegen den Campus des Konzerns auf die Straße gehen.
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