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Verhaftung untergräbt Friedensprozess
Kolumbien erwägt Auslieferung des FARC-Unterhändlers Santrich an die USA wegen Vorwurf des Drogenhandels
Die Ermittler der Staatsanwaltschaft und ihre Helfer kamen am helllichten Tag. Auf Videos ist der Moment zu sehen, in dem sie Jesús Santrich in dessen Wohnhaus eines Mittelstandsviertels in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá verhaften. Santrich ist ein Führungsmitglied der zur Partei FARC (Alternative Revolutionäre Kraft des Volkes) gewandelten vormaligen Guerilla FARC (Bewaffnete Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens).
Mit der Verhaftung Santrichs setzten die kolumbianischen Sicherheitskräfte einen internationalen Haftbefehl um, der wohl auf die US-Drogenbehörde DEA zurückgeht. Wie der Generalstaatsanwalt Nestor Humberto Martínez in einer gemeinsamen Ansprache mit Präsident Juan Manuel Santos wenige Minuten nach der Festnahme bekanntgab, wird Santrich sowie zwei weiteren Ex-Guerilleros vorgeworfen, den Export von zehn Tonnen Kokain in die USA im Wert von 15 Millionen Dollar verabredet und vorbereitet zu haben. Seit November vergangenen Jahres hätten entsprechende Treffen Santrichs und seiner Mitstreiter mit Drogenhändlern stattgefunden, bei der unter anderem die Übergabe von fünf Kilo Kokain als Beweis für die Seriosität des Angebots erfolgt sein soll.
Das Detail, dass es nach dem Friedensschluss 2016 zu den Treffen kam, ist wichtig. Denn die von den Ex-FARC-Guerilleros bis dahin begangenen Verbrechen, so will es der Friedensvertrag von Havanna, wurden amnestiert und sollen in einer Sonderjustiz aufgearbeitet werden. Zu den im Zusammenhang mit dem Konflikt stehenden Taten zählt auch der Drogenhandel. Eine Auslieferung in andere Länder ist ausgeschlossen.
Präsident Juan Manuel Santos, der für die erfolgreichen Friedensverhandlungen mit der FARC 2016 den Friedensnobelpreis erhalten hatte, betonte dann auch, er werde »niemanden aufgrund von Taten ausliefern, die vor dem Friedensvertrag und im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt stehen.« Sollte es aber unwiderlegbare Beweise geben, werde er nicht zögern, eine Auslieferung zu autorisieren, so Santos weiter. Wie die größte kolumbianische Tageszeitung »El Tiempo« berichtete, haben die US-Behörden ihren kolumbianischen Kollegen umfangreiche Beweismittel vorgelegt, darunter Videos und Audiomitschnitte, die die Beteiligung Santrichs an dem geplanten Drogendeal belegen sollen.
Die Nachricht der Verhaftung sorgte für heftige Reaktionen. Iván Márquez, Vorstandsmitglieder der FARC-Partei, als dessen enger Vertrauter Santrich gilt, bezeichnete die Verhaftung als juristische Inszenierung, die für großes Misstrauen sorge. »Das ist der schlimmste Moment, den dieser Friedensprozess durchmacht«, so Márquez. Santrichs Anwalt kündigte an, sein Mandant werde in den Hungerstreik treten.
Der Moment der Verhaftung ist politisch interessant. US-Präsident Donald Trump wollte nach dem Amerika-Gipfel am Wochenende kurz in Kolumbien vorbeischauen. Wichtiges Thema sollte dabei der Kampf gegen den Drogenhandel sein. Inzwischen hat Trump beide Visiten abgesagt. Angesichts der steigenden Kokapflanzungen in Kolumbien - rund 150 000 Hektar - und laut UNO mehr als 860 Tonnen produziertem Kokain, hat Trump gedroht, das Land zu »entzertifizieren«. Dies könnte ein Einfrieren der rund 390 Millionen Dollar bedeuten, die das Land von den USA in diesem und im kommenden Jahr für den Kampf gegen den Drogenhandel erhält. »Die Regierung tut sich schwer die US-Regierung mit ihrem Kampf gegen den Drogenhandel zu überzeugen«, sagte die Politikwissenschaftlerin Sandra Borda am Montagabend im Radiosender »Caracol«. »Die Verhaftung Santrichs tut den Beziehungen gut.« Eine Vereinbarung, nach der kleine Kokabauern gegen Entschädigungszahlungen freiwillig ihre Pflanzungen ausreißen, ist Teil der Friedensvereinbarung.
An den Friedensgesprächen hatte Santrich von Beginn an teilgenommen. Er gilt als ideologischer Hardliner und ist selbst innerhalb der FARC für seine zuweilen undiplomatischen Äußerungen nicht unumstritten. Santrich, der mit bürgerlichem Namen Seuxis Hernández heißt, sollte ab Juli einen der zehn zusätzlichen Kongresssitze besetzen, die der Friedensvertrag für die FARC vorsieht.
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