Sammeln und klagen
EU will die Verbraucher besser vor Betrügereien großer Konzerne schützen
Das europäische Verbraucherschutzrecht schützt nicht so gut, wie es sollte. Was Verbraucherschutzorganisationen seit Jahren bemängeln - etwa beim Dieselskandal -, ist auch der EU-Kommission aufgefallen. Am Mittwoch stellte Justizkommissarin Věra Jourová in Brüssel vier neue Grundsätze für die EU-Verbraucherpolitik vor. Der »New Deal for Consumers« verspricht besseren Schutz bei Onlinegeschäften, Strafen für Betrüger und einheitliche Qualitätsmaßstäbe in den Mitgliedsstaaten.
Damit Kunden künftig der Macht großer Konzerne wie Facebook, VW und Co. mehr entgegenzusetzen haben, soll zudem eine europäische Sammelklagemöglichkeit geschaffen werden. Damit könnten Betroffene, die in gleicher Weise von einem Unternehmen geschädigt wurden, gemeinsam Klage einreichen - vertreten durch eine Verbraucherschutzorganisation oder andere Verbände. Klagen dürfen sollen nur nicht-profitorientierte Organisationen, um eine professionelle Klageindustrie wie in den USA zu verhindern. Der derzeitige Weg, der auch in Deutschland gegangen werden muss, erfordert dagegen Einzelklagen der Betroffenen, deren juristisches Ergebnis auch nur für ihren speziellen Fall gilt. Zudem sind die Klagen aufwendig und können teuer werden.
Das Thema Sammelklage ist spätestens seit dem Dieselskandal in aller Munde. Seit im September 2015 bekannt wurde, dass VW die Abgaswerte von Dieselmodellen bei Fahrzeugtests manipuliert hatte, um niedrigere Emissionen vorzugaukeln, fordern Verbraucherschützer noch vehementer die Möglichkeit von Sammelklagen. Denn durch die Tricksereien wurden Millionen Verbraucher arglistig getäuscht, die sich ein solches Auto zugelegt hatten.
Das neue EU-Recht soll laut Jourová für größere Gerechtigkeit und nicht wie in den USA für höhere Anwaltshonorare sorgen. Auch Otmar Lell, Leiter des Teams Recht und Handel beim Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), hält eine Abgrenzung zur US-Praxis für richtig. Grundsätzlich begrüße der Verband die Ideen der EU-Kommission, sagte er gegenüber »nd«. Mit der Unterlassungsklage habe man auch in der Vergangenheit gute Erfahrungen gemacht. So konnten Verbände wie der vzbv mit diesem Instrument auch bisher gegen rechtswidrige AGB vorgehen. Die Neuregelung, wie sie Jourová vorschlage, ermögliche es aber auch Verbrauchern, die etwa von rechtswidrigen Gebührenerhöhungen ihres Energieanbieters betroffen seien, ihr Geld zurückzubekommen.
Der wirtschafts- und finanzpolitische Sprecher der Grünen im EU-Parlament, Sven Giegold, bezeichnete das geplante Recht auf Sammelklagen sogar als »Durchbruch für den Verbraucherschutz in Europa«. Das Machtgefälle zwischen Unternehmen und Verbrauchern verkleinere sich. »Produkte werden für die Massen produziert, also müssen Verbraucher auch im Kollektiv klagen können«, so Giegold.
Auch in Deutschland läuft eine Debatte um Verbraucherklagerechte. Die in der vergangenen Wahlperiode von Ex-Justizminister Heiko Maas (SPD) angeregte Musterfeststellungsklage soll unter seiner Nachfolgerin Katarina Barley (SPD) nun kommen. Die EU-Vorschläge deckten sich weitgehend mit den Ideen aus Berlin oder könnten sich ergänzen, so Lell. »Es wird sich aber zeigen, wie das EU-Recht am Ende in den Mitgliedsländern umgesetzt wird.« Zunächst müssen aber erst Ministerrat und Parlament zustimmen.
Seit am Montag erste Inhalte aus dem »New Deal« bekanntwurden, laufen die Unternehmen dagegen Sturm. Es gebe keinen Grund, das US-Sammelklagen-System zu kopieren, sagte etwa der Geschäftsführer des Unternehmerverbands Business Europe, Markus Beyrer. Da eine solche Idee aber auch gar nicht auf dem Tisch liegt, ist das Argument vernachlässigbar. Viel eher passt es Konzernen wohl nicht, dass sie in Zukunft für Betrügereien am Kunden schneller und teurer zur Rechenschaft gezogen werden können. Das ist gewollt: »Betrug darf nicht billig sein«, so Jourová.
Hunderttausende missbräuchliche Klagen, die die Unternehmen nun offenbar fürchteten, seien auch gar nicht zu erwarten, so vzbv-Experte Lell. Die EU-Vorschläge stellten sicher, dass die klagenden Verbände kein kommerzielles Interesse verfolgten.
Die EU-Kommission stellte am Mittwoch auch ein schärferes Lebensmittelrecht vor. Die Korrekturen griffen zu kurz, sagte der Chef der Verbraucherorganisation Foodwatch, Thilo Bode. Die Überarbeitung des Lebensmittelrechts soll transparenter machen, wie die EU-Lebensmittelbehörde EFSA Risiken analysiert. Bode sieht hingegen Schwächen im System. Im Skandal um mit Fipronil verseuchte Eier 2017 seien Verbraucher zu spät informiert worden, die Herkunft von Produkten habe sich kaum nachverfolgen lassen. Foodwatch fordert ein Verbandsklagerecht ähnlich dem, das Umweltverbände in Deutschland haben, um Verbraucher juristisch vertreten zu können.
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