- Berlin
- Trans-Sexarbeiterinnen in Berlin
Vier Männer, gezielt, vorbereitet
Aktivistin: Gewalt gegen Trans-Sexarbeiterinnen in der Frobenstraße hat zugenommen
An der Kurfürstenstraße wird gebaut. Hohe Zäune schirmen ein großes Grundstück an der Genthiner Straße ab, das noch vor kurzem eine Brachfläche war. Dort hatten häufig Frauen schnelle Nummern mit Freiern, die sich ein Stundenhotel sparen wollten. Doch seit auch hier die Stadt immer mehr verdichtet wird, fallen Rückzugsorte für bezahlten Sex weg, und so häuft sich hier, was für viele Anwohner ein Ärgernis ist: Sex auf Spielplätzen, im Schatten von Erdgeschoss-Balkonen, in Innenhöfen von Wohnhäusern. Und dazu: Müll, benutzte Kondome, Exkremente.
Der Unmut im Kiez über den Straßenstrich ist gewachsen. Das zeigt auch eine Umfrage des Bezirksamts Mitte. 35,3 Prozent der Befragten fühlen sich durch »öffentlichen Vollzug von Geschlechtsverkehr« gestört - mehr noch als durch Fäkalien oder Müll. Gleichzeitig - und ganz anders als bei den anderen Störfaktoren - gaben 30,2 Prozent der Befragten an, sich »gar nicht« davon gestört zu fühlen. Immerhin 18,3 Prozent kreuzten an, sich auch an Gewalt gegen Sexarbeitende zu stören.
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»Es ist rauer geworden auf der Straße«, sagt Emy Fem. Sie ist Sexarbeiterin, aber nicht auf der Straße, sondern als Escort. Gleichzeitig hält sie Vorträge über Sexarbeit und gibt Prostituierten Workshops zur besseren Selbstbehauptung. Es habe schon immer Gewalt gegen diejenigen gegeben, die auf dem Straßenstrich arbeiten. Doch in den vergangenen Monaten hätten sich körperliche Angriffe gehäuft. »Das ist eine neue Dimension.« Sie richtet sich gegen Trans-Personen, die in der Frobenstraße auf dem Straßenstrich Geld verdienen.
Männergruppen seien gezielt mit dem Auto zur Frobenstraße gefahren, »um Transen zu klatschen«, erzählt Fem. Sie kämen in der Regel zu viert, betrunken und teilweise vorbereitet. »Einer Arbeiterin wurde Seifenlauge ins Gesicht gespritzt. So etwas habe ich normalerweise nicht im Auto.« Auch Messerattacken habe es gegeben.
Fem kennt die Berichte von regelmäßigen Treffen mit den Betroffenen in einem nahe gelegenen Streetworker-Projekt. Die Frauen selbst trauen sich damit nicht an die Öffentlichkeit, sagt Fem. Grund sind Sprachbarrieren, teils auch fehlende Arbeitspapiere. An der Frobenstraße stünden viele Osteuropäerinnen. »Da kommt Rassismus zusammen mit Transfeindlichkeit.« Für Fem ist die allgemeine Stimmung im Land schuld: Die lauter werdenden konservativen bis rechtsradikalen Stimmen gegen Migranten, die Wiederkehr des offen zur Schau gestellten Antisemitismus und antifeministische Bestrebungen.
Im Bezirksamt Mitte ist bekannt, dass die Übergriffe seit Anfang des Jahres massiv zugenommen haben. Auch für Kerstin Drobick, die Gleichstellungsbeauftragte des Bezirks, fallen sie in den Bereich Hasskriminalität. »Sie sind ein Symbol, eine politische Aussage.« Gemeinsam mit dem Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) will sie am kommenden Montag bei einem Treffen mit der Polizei die Übergriffe und mögliche Reaktionen ansprechen.
Zuständig für das Thema ist bei der Polizei Anne Grießbach-Baerns. »Wir nehmen den Hinweis von Emy Fem sehr ernst«, sagt sie dem »nd«. Das von ihr beschriebene Ausmaß der Gewalt sei bei der Polizei nicht bekannt - entsprechende Anzeigen habe es 2018 nicht gegeben. »Und die brauchen wir, um handeln zu können.« Die letzten beiden Anzeigen seien im Oktober 2017 eingegangen: Ein Mann soll eine Arbeiterin beleidigt und eine andere mit einer Plastikflasche beworfen haben.
Ende April will sich Grießbach-Baerns vor Ort mit Emy Fem zu einem Kiezrundgang treffen. Dabei sein sollen auch ihr Kollege Sebastian Stipp, die zweite Ansprechperson der Berliner Polizei für Lesben, Schwule, Bi-, Trans- und intergeschlechtliche Personen, sowie der Präventionsbeamte des zuständigen Polizeiabschnitts. Ziel sei es, sich vorzustellen und Vertrauen zu den Frauen aufzubauen. »Uns geht es dabei um die Übergriffe.« Personenkontrollen sollen nicht durchgeführt werden.
Fem sieht das Treffen als ersten wichtigen Schritt an. Sie wünscht sich darüber hinaus noch mehr Präsenz von Zivilpolizei. Das aber wollen die Transpersonen vor Ort nicht. Auch wegen der Sorge, die Polizei könne Kunden vergraulen. Ein weiterer Vorschlag kam von einer Wendo-Lehrerin: Sie würde die Frauen gerne trainieren. Das kann auch Fem sich vorstellen. Wer Selbstverteidigungstechniken beherrsche, trete anders auf. »Das macht ganz viel aus.«
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