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Sprache und Moral

Im Vokabular des Deutschen sind noch immer viele Diskriminierungen verborgen.

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 5 Min.

Wörter können sein wie »winzige Arsendosen«, schrieb der deutsch-jüdische Romanist Victor Klemperer, als er nach dem Zweiten Weltkrieg die Sprache der Nazis analysierte. »Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.« Was Klemperer hier so treffend schildert, ist nicht nur kennzeichnend für Diktaturen, in denen Wort und Schrift streng kontrolliert werden. Auch unter demokratischen Verhältnissen besteht die Gefahr, dass die Verrohung der Sprache der Verrohung der Gesellschaft den Weg ebnet.

In der Bundesrepublik hat dieser Prozess mit dem Aufstieg der AfD eine neue Dimension erreicht. Zwar waren Politiker in ihrer Wortwahl nie zimperlich, wenn es darum ging, Gegner zu attackieren oder irrationale Ängste in der Bevölkerung zu schüren. Inzwischen jedoch ruft die Rohheit der Sprache selbst in konservativen Kreisen Unmut hervor. Etwa wenn Politiker demokratischer Parteien als »Wucherungen am deutschen Volkskörper« bezeichnet werden, die man jagen oder entsorgen müsse, oder wenn gefordert wird, den »Schuldkult« um den Holocaust zu beenden.

Schon in den 1990er Jahre wurde vielerorts der Ruf nach einer politisch korrekten Sprache laut, zunächst in den USA, später auch in Deutschland. Die Anhänger dieser Bewegung plädierten für einen Sprachgebrauch, bei dem jedwede Diskriminierung von Menschen vermieden wird. Und sie hatten Erfolg. So sind zum Beispiel rassistisch abwertende Bezeichnungen von Menschen wie »Neger« oder »Zigeuner« heute in Wort und Schrift tabu. Der Autor Otfried Preußler hielt es 2013 sogar für angebracht, in einer Neuauflage seines 1957 erschienenen Kinderbuches »Die kleine Hexe« aus zwei kostümierten und im Original als »Negerlein« bezeichneten Kindern »zwei kleine Messerwerfer« zu machen. Überarbeitet wurde auch Astrid Lindgrens »Pippi Langstrumpf«. Der Vater von Pippi, den die Übersetzung von 1951 noch als »Negerkönig« präsentierte, bekam nun den Titel eines »Südseekönigs«.

Der Berliner Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch begrüßt solche Eingriffe in den überlieferten Wortschatz als Beitrag zur Wahrung der Moral. Diese beruht auf einer goldenen Regel: Behandle andere nicht so, wie du von ihnen selbst nicht behandelt werden möchtest. Auf die Sprache übertragen hieße das: Stelle andere sprachlich nicht so dar, wie du an ihrer Stelle auch nicht dargestellt werden wolltest. Man geht daher für gewöhnlich nicht fehl, wenn man für Menschen einer bestimmten Gruppe oder Ethnie deren Eigenbezeichnung übernimmt. Vorausgesetzt, diese ist nicht widersinnig. Wie etwa bei Leuten, die sich »Reichsbürger« nennen, weil sie meinen, das Deutsche Reich existiere noch.

In vielen Büchern ist es sicherlich problemlos möglich, rassistisches Sprachgut zu ersetzen. Schwieriger wird die Sache, wenn in literarischen Werken tabuisierte Wörter vorkommen, welche die Ausgrenzung und Ausbeutung von Menschen im historischen Kontext beschreiben. So sind »Die Abenteuer des Huckleberry Finn« von Mark Twain und »Onkel Toms Hütte« von Harriet Beecher Stowe auch Zeitdokumente über die Sklaverei und den sprachlich geprägten Rassismus in Amerika. Würde man hier die diskriminierenden durch politisch korrekte Wörter ersetzen (wie teilweise in den USA geschehen), verlören die Bücher viel von ihrer aufrüttelnden Kraft. Ganz abgesehen davon, dass die Befürworter einer politisch korrekten Sprache durch solcherart Übereifer ihrem eigenen Anliegen schaden würden.

Eines der auffälligsten Merkmale des Deutschen ist dessen Asymmetrie bezüglich der Geschlechter. Stichwort: generisches Maskulinum. Dieser Begriff bezeichnet die ausschließliche Verwendung eines maskulinen Substantivs oder Pronomens, obwohl Männer und Frauen gleichermaßen gemeint sind. Oft wird dies bagatellisiert mit dem Argument: Wenn von Ärzten oder Lehrern gesprochen werde, gingen die meisten Menschen ohnehin davon aus, dass damit auch Lehrerinnen bzw. Ärztinnen mit gemeint seien. Psychologische Experimente haben ein anderes Ergebnis erbracht. Danach werden Personenbezeichnungen im generischen Maskulinum allgemein nicht geschlechtsneutral, sondern stärker auf Männer als auf Frauen bezogen verstanden.

Dass Frauen sprachlich benachteiligt sind, steht auch für den Linguisten Wolf Schneider außer Frage: »Die patriarchalische Gesinnung unserer Ahnen ist in unserem Wortschatz tief verwurzelt. Die feministische Bewegung tat deshalb recht daran, dafür zu plädieren, dass wir uns um mehr sprachliche Symmetrie bemühen und das Weibliche überall sichtbar und hörbar machen sollten.« Dies geschehe am besten dadurch, dass man bei der Nennung einer Personengruppe auch deren weibliche Angehörige ausdrücklich einbeziehe: Lehrerinnen und Lehrer, Politikerinnen und Politiker und so weiter.

Andere Versuche, geschlechtliche Symmetrie in der Sprache herzustellen, etwa durch Unterstriche oder x-Formen (Professx), sind auch unter Feministinnen umstritten. Denn solche Wörter behindern den Lesefluss und erzeugen leicht Missverständnisse. Wie soll man beispielsweise Student_innen aussprechen, ohne dass der Eindruck entsteht, dass Studenten hier nicht gemeint sind. Eine Alternative wären geschlechtsneutrale Wörter wie Studierende oder Lehrende. Doch leider lassen sich solche Formen im Deutschen oft nicht ohne Verrenkungen bilden. Gleichwohl machten die Reformer der Straßenverkehrsordnung aus Fußgängern »zu Fuß Gehende«, während »ein Verkehrsteilnehmer« nun jemand ist, »der am Verkehr teilnimmt«. Stefanowitsch findet das akzeptabel. Schneider indes befürchtet, dass die deutsche Sprache durch derartige Formulierungen zu umständlich wird und die Stilistik als Kunstform Schaden nimmt.

Trotz mancher Kontroversen im Detail wird heute allgemein anerkannt, dass wir eine politisch korrekte Sprache brauchen. Zwar schaffe diese allein noch keine gerechte Welt, meint Anatol Stefanowitsch. »Aber indem wir sie verwenden, zeigen wir, dass wir eine gerechte Welt überhaupt wollen.«

Bleibt die Frage, wie man Menschen dazu bringt, von fragwürdigen Sprachgewohnheiten Abschied zu nehmen. Gutes Zureden genügt hier vermutlich nicht. Vielmehr bedarf es hierzu normativer Vorgaben. Doch diese müssen für die Mehrheit nachvollziehbar sein, so wie im Fall der Tabuisierung diskriminierender Ausdrücke. Zugleich ist der rassistische Wortgebrauch einiger AfD-Politiker ein Indiz dafür, dass sich moralische Fortschritte in der Sprache nicht von selbst erhalten.

Anatol Stefanowitsch: Eine Frage der Moral. Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen. Dudenverlag Berlin, 83 S., 8 Euro

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