Elbtroja

Terry Pratchett und Dresden

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Ende der Bronzezeit vor etwa 3000 Jahren brachen fast alle Zivilisationen des Mittelmeerraumes zusammen; auch bedeutende Handelsstädte wie Troja wurden zerstört. Die Gelehrten streiten noch darüber, was oder wer dafür verantwortlich war; ob es zum Beispiel das aggressive Seefahrervolk, das plündernd und raubend die Küsten heimsuchte, wirklich gegeben hat, ist unsicher. Möglicherweise war der Zusammenbruch die Folge einer durch einen Klimawandel ausgelösten Migrationskrise. Aber schon damals waren nicht die Flüchtlinge das Problem, sondern die Unfähigkeit der meisten Eingesessenen, adäquat auf die Krise zu reagieren. Überlebt hat allein das Reich der Ägypter, die sich anpassten und die ihr Reich in den Jahrhunderten danach auch von fremdstämmigen Herrschern regieren ließen (Kleopatra, die letzte Pharaonin gehörte der makedonisch-griechischen Dynastie der Ptolemäer an).

Das Troja der Neuzeit liegt an der Elbe. In Dresden wollten am Freitag Bürger, die sich vor einer »besorgniserregenden Gegenwart« ängstigen, einen Nachbau des Trojanischen Pferdes aufstellen. Das Vorhaben hat in der Stadt für Aufsehen gesorgt. In dem Aufruf heißt es, man wolle mit der Aktion »einer Entwicklung entschieden entgegentreten, die unser Land, unsere Tradition und unsere Kultur zerstört«. Schließlich seien auch die Bürger Trojas vor mehr als 3000 Jahren nicht gefragt worden, ob sie dem griechischen Gaul innerhalb ihrer Stadtmauern Asyl gewähren wollen oder nicht. Auf Befehl Merkels (pardon: König Priamos’) sei das hölzerne Pferd aber dennoch in die Stadt gezogen worden. Der Rest ist Geschichte. Man kann sie bei Homer nachlesen: Troja wurde vernichtet.

Kritiker des Versuchs, aus »Elbflorenz« ein »Elbtroja« zu machen, versuchten sich in einer anderen Interpretation des historischen Stoffes. Der Vorwurf, die Trojaner seien damals nicht gefragt worden, ob das Holzpferd in die Stadt transportiert werden dürfe, stimme nicht. Sie seien schon gefragt worden, hätten aber nicht auf die Warnungen des Priesters gehört und selbst das Pferd in die Stadt gezogen. Die Kritiker schlugen deshalb eine andere Lesart vor: Das Holzpferd symbolisiere den »schleichenden Angriff auf die Grundwerte unserer Demokratie unter der Bemäntelung von Heimat- und Freiheitsliebe. Wie schon die Griechen geduldig in ihrem Holzpferd ausharrten und ihre Messer wetzten, betreiben rechts-nationale Gruppierungen die Aufweichung unserer gesellschaftlich-moralischen Grenzen.«

Leider ereignete sich die Aktion nach Redaktionsschluss dieser Zeitung, sodass nicht Auskunft darüber gegeben werden kann, ob das Pferd jetzt wirklich dort steht, wo es stehen sollte (vor dem Kulturpalast der Stadt). Was wir sicher wissen, ist, was Terry Pratchett, der 2015 verstorbene Schriftsteller, dem wir die Fantasy-Geschichten aus der »Scheibenwelt« verdanken, über besorgte Bürger dachte. Seine Roman-Figur »Herr Nadel« lässt er in »Die volle Wahrheit« Folgendes sagen: »Über ›besorgte Bürger‹ wusste er Bescheid. Wo auch immer sie sich aufhielten: Sie sprachen immer die gleiche private Sprache, in der ›traditionelle Werte‹ und ähnliche Ausdrücke auf ›jemanden lynchen‹ hinausliefen. Dagegen hatte er nichts einzuwenden, aber es schadete nie, die Motive des Auftraggebers zu verstehen.«

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