Ein Härtefallfonds reicht nicht
Benachteiligte Ost-Rentner unzufrieden mit Koalitionsvertrag / Pläne für Demonstration in Berlin
Benachteiligte Rentner im Osten sind vom Koalitionsvertrag enttäuscht. Sie hatten gehofft, dass Union und SPD Fehler bei der Rentenüberleitung aus den 1990er Jahren beheben, die dazu führen, dass Angehörige vieler Berufsgruppen jeden Monat auf teils dreistellige Beträge verzichten müssen. Die SPD hatte im Wahlkampf für einen Gerechtigkeitsfonds geworben. Im Koalitionsvertrag ist nur davon die Rede, dass für »Härtefälle« dank einer »Fondslösung« ein Ausgleich geschaffen werden soll. Das aber, sagt Dietmar Polster von der Eisenbahnergewerkschaft EVG, »bringt uns gar nichts«. Der Fonds würde, sagt er, nur einzelnen Betroffenen, aber nicht den Berufsgruppen insgesamt helfen.
Bei der Angleichung der Rentensysteme in Ost und West im Zuge der deutschen Vereinigung gab es zunächst Probleme bei über zwei Dutzend Berufsgruppen. Inzwischen gibt es noch etwa 19 Gruppen, denen nach ihrer eigenen Überzeugung rechtmäßig erworbene Anwartschaften nicht anerkannt werden, darunter Reichsbahner, Bergleute, Angehörige der technischen Intelligenz oder Beschäftigte im Gesundheitswesen. Frauen, die sich in der DDR scheiden ließen, erhalten - anders als Frauen im Westen - keinen Versorgungsausgleich; viele leben in Altersarmut. Vielen früheren Reichsbahnern würden nur 600 Mark Gehalt für die heutige Rente angerechnet, weil DDR-Ansprüche nicht berücksichtigt werden, sagt Volkmar Hornfischer von deren Interessengemeinschaft. Das sei nicht nur »eine Unverschämtheit«, sondern »Rechtsbeugung pur«.
Das langjährige erfolglose Ringen um eine höhere Rente, das meist über viele juristische Instanzen und im Fall der Geschiedenen bis zur UNO führte, hat viele Beteiligte zermürbt - und trägt nicht unerheblich zum Frust bei vielen Ostdeutschen bei, sagt Petra Köpping (SPD), Ministerin für Integration in Sachsen: »Viele sind zutiefst gekränkt, manche auch wütend und ungerecht geworden.« Köpping hatte in ihrer Partei dafür geworben, die Ungerechtigkeit wenigstens »teilweise zu reparieren« - und macht keinen Hehl daraus, dass sie sich von der Koalition in Berlin mehr erhofft hatte: Der Härtefallfonds sei »nicht das, was wir wollten«. Er sei indes auch besser als nichts, fügt sie an: Wäre es zu einer Koalition von Union, FDP und Grünen gekommen, »hätten wir gar nichts«. Sie mahnt die Betroffenen, nun energisch auf Umsetzung dessen zu drängen, was im Koalitionsvertrag angekündigt ist.
Das freilich wird nicht leicht - unter anderem deshalb, weil die Gruppen bislang weitgehend einzeln gekämpft und mit der Politik verhandelt haben. Das hat, sagt Köpping, zur Folge, dass bisher »noch nicht einmal berechnet wurde, um wie viele Leute und wie viel Geld es sich handelt«. Es habe deshalb während der Verhandlungen über die Koalition keine klaren Vorstellungen gegeben, wie viel Geld für einen Härtefallfonds überhaupt eingeplant werden müsste.
Inzwischen suchen Betroffene immerhin den Kontakt zueinander; bei einer Konferenz im vergangenen Jahr in Leipzig saßen erstmals mehrere der Berufsgruppen am Tisch. Doch von Solidarität und Bildung eines »richtigen Bündnisses«, wie es Köpping für das Ringen mit der Bundespolitik für nötig hält, ist man weit entfernt. An einer Veranstaltung, die jetzt auf Einladung des DGB Dresden stattfand, nahmen zwar nun erneut Betroffene vieler Berufsgruppen teil. Für ein abgestimmtes Vorgehen, stellte Polster fest, habe es freilich bisher sogar am Austausch von Kontaktdaten gefehlt.
Die Vernetzung soll jetzt verbessert werden; allerdings, räumt Polster ein, stoße die Idee eines konzertierten Vorgehens auch auf Skepsis und Ablehnung. Die Fälle liegen sehr unterschiedlich. Das bestätigt Klaus-Dieter Weißenborn, der Interessen von Naturwissenschaftlern aus DDR-Chemiebetrieben verficht und im Seniorenbeirat Halle arbeitet. Er sagt, die Zusatzversorgung für Chemiker und Physiker sei »ganz anders geartet« als die anderer Berufsgruppen. Er merkt auch an, dass für diese Gruppe seit Jahren ein Gesetz vorliege: »Aber keiner handelt.« Hornfischer ergänzt, man sei einer Lösung für die Reichsbahner mehrfach nahe gewesen, »und dann wechselte wieder die Regierung«. Nun bleibe nicht mehr viel Zeit. »Wenn sich jetzt nichts tut«, sagt Weißenborn, »gibt es eine biologische Lösung.«
Das lässt ihn auch skeptisch auf die Idee reagieren, dem Anliegen der benachteiligten Ost-Rentner mit einer großen Demonstration Nachdruck zu verleihen. Diese könnte anlässlich einer Anhörung im Bundestag in Berlin im Frühsommer veranstaltet werden, sagt Marion Böker, die Beraterin des Vereins der in der DDR geschiedenen Frauen: Es wäre »angebracht«, Forderungen auch vor dem Parlament zu artikulieren. Köpping stellte in Aussicht, gegebenenfalls die Schirmherrschaft zu übernehmen. Bei manchen Aktivisten freilich stößt ein solches Vorhaben auch auf Skepsis. Viele Betroffene seien 75 Jahre oder älter und nähmen die anstrengende Fahrt nach Berlin wohl nicht mehr auf sich, sagt Weißenborn; außerdem ist »die Zeit dafür schlicht nicht mehr da«.
In den nächsten Wochen soll nun sondiert werden, wie viel Rückhalt die Idee einer Demonstration hätte; auch die Vernetzung der Gruppen solle vorangetrieben werden, kündigt Polster an. Zudem will man erneut das Gespräch mit ostdeutschen Abgeordneten suchen - obwohl man etlichen von ihnen die höchst komplizierte Materie erst einmal erklären muss, weil sie neu im Parlament sind. Ein Problem bleibt ohnehin: Selbst wenn die Abgeordneten guten Willens sind - im Bundestag sind sie in der Minderheit.
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