Schlusslicht bei vorzeitigen Haftentlassungen

Justizsenator prüft, warum in keinem anderen Bundesland so viele Gefangene ihre Strafe bis zum Ende verbüßen

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 2 Min.

Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) lässt prüfen, warum in der Hauptstadt nur knapp sieben Prozent aller Häftlinge vorzeitig entlassen werden. Damit sei Berlin »bundesweit Schlusslicht«, bedauert Behrendt. »Unser Kriminologischer Dienst betreibt deshalb eine Ursachenanalyse«, sagt der Politiker auf nd-Anfrage. Der »nicht für seine übermäßige Liberalität bekannte Freistaat« Bayern entlasse dagegen 20 Prozent seiner Strafgefangenen vorzeitig.

Den Stein ins Rollen gebracht hatte die Antwort auf eine Schriftliche Anfrage des rechtspolitischen Sprechers der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Sebastian Schlüsselburg. Demnach wurden von Januar bis November 2017 insgesamt 4427 Menschen aus der Haft entlassen - allerdings nur 244 davon vorzeitig. Eine Quote von 6,8 Prozent. Deutschlandweit lag der Durchschnitt bei mehr als dem doppelten Wert, nämlich 14,3 Prozent. Im Bundesländervergleich hat Sachsen-Anhalt mit 10,7 Prozent die zweitgeringste Quote. Die Spitzenplätze belegten Bremen (25,2 Prozent), das Saarland (24,2 Prozent) sowie Bayern mit 20 Prozent. Bereits seit mindestens 2012 liegt die Quote in der Hauptstadt mit Abstand unter jener aller anderen Bundesländer. Warum genau dem so ist, weiß man in der Justizverwaltung nicht.

Eine Ausweitung könnte auch die Berliner Gefängnisse entlasten, der Strafvollzug für Männer ist derzeit zu 97 Prozent ausgelastet, die Anstalt Moabit ist sogar überbelegt.

Eine Haftstrafe kann nach Verbüßung von zwei Dritteln auf Bewährung ausgesetzt werden, allerdings nur, wenn dies »unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit verantwortet werden kann«. Diese Abwägungsentscheidung werde in jedem Einzelfall durch das Gericht getroffen.

»Dass Berlin im Bundesländervergleich so deutliches Schlusslicht bei den Haftentlassungen nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe ist, stimmt mich nachdenklich«, sagt Schlüsselburg.

Sven Rissmann, rechtspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, wendet sich gegen eine Überprüfung der Praxis. »Das kann aus grundsätzlichen rechtspolitischen Erwägungen nicht richtig sein«, sagte er der »Berliner Morgenpost«.

Er lade die Konservativen ein, sich an Bayern zu orientieren, entgegnet Behrendt. Würde man mit anderen Bundesländern gleichziehen, »könnte das auch ein Beitrag zur früheren Resozialisierung und damit zur Sicherheit in Berlin sein«, ist Behrendt überzeugt. »Die Entscheidung über die Entlassung liegt immer bei einem unabhängigen Gericht«, stellt er klar.

Mit der jetzigen Praxis sei man »nicht nur weit entfernt vom gesetzlichen Leitbild«, sondern erschwere damit möglicherweise auch die Resozialisierung, so Schlüsselburg. Er begrüße daher Behrendts Initiative.

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