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  • Protest gegen Online-Händler

Amazon erfolgreich getrotzt

Vernetzungstreffen widmete sich dem Widerstand gegen die Praktiken des Online-Händlers

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 4 Min.

Zeitpunkt und Ort waren nicht zufällig gewählt, als am Wochenende über 80 Gewerkschafter und Aktivisten auf Einladung der Linksfraktion im Bundestag in der osthessischen Kreisstadt Bad Hersfeld zu einem Vernetzungstreffen unter dem Motto «Taktgeber des digitalen Kapitalismus» zusammenkamen. Hier hatte die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di vor fast genau fünf Jahren den ersten Streik beim Online-Versandhändler Amazon für einen Tarifvertrag ausgerufen.

2013 war Amazon in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt, als die ARD-Reportage «Ausgeliefert» die Arbeits- und Lebensbedingungen spanischer Leiharbeiter dokumentierte. Amazon ist der weltgrößte Online-Händler und «macht sich wie eine Krake in unserem Leben breit», erklärte die Bundestagsabgeordnete Sabine Leidig (LINKE), der es gelungen war, engagierte Amazon-Beschäftigte und Gewerkschafter zum Austausch mit Solidaritätsgruppen, Attac-Aktivisten, kritischen Wissenschaftlern und Parlamentariern zusammen zu führen.

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Fünf Jahre Streik und immer noch kein Tarifvertrag - also alles umsonst? Christian Krähling, der in Bad Hersfeld an den regelmäßigen Arbeitskämpfen von Anfang an mitgewirkt hatte, verneinte diese Frage. So habe der jahrelange Streikdruck zusammen mit der Empörung nach kritischen Medienberichten immerhin zu einigen kleineren Verbesserungen geführt, auch wenn der große Durchbruch noch ausstehe.

So sei der Anteil der Beschäftigten mit befristeten Arbeitsverträgen von rund drei Viertel auf etwa ein Drittel zurückgegangen. Auch wenn der aktuelle Stundenlohn noch deutlich unter dem geforderten Tariflohn für den Einzel- und Versandhandel liege, habe es in fünf Jahren ein Lohnplus von 28 Prozent gegeben. Das Management habe früher ein Weihnachtsgeld stets kategorisch ausgeschlossen und gewähre heute den meisten Beschäftigten immerhin 400 Euro Sonderzahlung zum Jahresende. Eine Klimaanlage sorge vor allem in den Sommermonaten für bessere Luft in den Hallen und ein hoher Krankenstand habe zur Einrichtung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements geführt. «Es ist noch nicht gut, aber einiges an unseren Arbeitsbedingungen ist besser geworden», so Krähling. Solche Fortschritte seien nicht vom Himmel gefallen, sondern Ergebnis zäher Organisierung.

In fünf Jahren habe sich die Zahl der ver.di-Mitglieder im Betrieb von 70 auf über 1000 erhöht. «Das strahlt auch auf andere Amazon-Betriebe bundesweit und in ganz Europa aus», so Krähling, der vor wenigen Wochen bei einen Streik in Madrid den Schulterschluss mit der dortigen Amazon-Belegschaft vollzog. «Jeder in Bad Hersfeld kennt jemanden, der bei Amazon arbeitet oder gearbeitet hat, berichtete die örtliche ehrenamtliche DGB-Kreisvorsitzende Andreja Schmidtkunz. Die Durchhaltekraft finde in der Bevölkerung Anerkennung. Allerdings scheue die Lokalpresse die Konfrontation mit dem Konzern, so die Gewerkschafterin, die selbst bei Amazon arbeitet.

Dass sich das Amazon-Geschäftsmodell nicht nur auf systematische Ausbeutung der Arbeitskräfte, sondern auch auf gezielte Steuervermeidungstricks und Steueroasen stützt, unterstrich Attac-Aktivist Alfred Eibl. »Amazon drückt mit seinem Lebensmittel-Lieferdienst die Erzeugerpreise und verdrängt kleine bäuerliche Anbieter«, brachte es Jutta Sundermann von der Aktion Agrar auf den Punkt. Diese Kampagne hatte Ende 2017 dazu aufgerufen, beim Weihnachtseinkauf auf Amazon zu verzichten. Der Konzern trete gleichzeitig als größter Standbetreiber und Betreiber des virtuellen Marktplatzes auf und zerstöre die Vielfalt in der Agrarproduktion. Dass die »Krake Amazon« als Verleger und antiquarischer Buchhändler auch kleine Buchläden vernichtet, unterstrich die Buchhändlerin Andrea Euler aus Wächtersbach. »Wenn die Buchpreisbindung fällt, dann fallen auch kleinere Verlage«, so ihre Warnung vor einer »kulturellen Armut«.

Amazon stehe nicht nur für skandalöse Arbeitsbedingungen, Wildwuchs und Deregulierung, sondern auch für eine beispiellose Datensammlung über seine Kundschaft und technologische Kontrolle aller Lebensbereiche, so Lars Wehring, der sich mit technologiekritischen Aktivisten im Netzwerk capulcu.blackblogs.org zusammengeschlossen hat. Wenn der Konzern zunehmend als Apotheke und Krankenversicherer in Erscheinung trete, fördere dies vom Gesundheitszustand abhängige dynamische Tarifen, die den traditionellen Solidargedanken der gesetzlichen Krankenversicherung völlig unterliefen, so Wehring.

Bei den derzeit stattfindenden Betriebsratswahlen versuche das Management gezielt Bewerbern auf ver.di-Listen Steine in den Weg zu werfen, kritisierte die für den Konzern zuständige ver.di-Sekretärin Lena Widmann. Sie freute sich darüber, dass die ver.di-Liste aus den jüngsten Betriebsratswahlen im nordrhein-westfälischen Standort Rheinberg als Siegerin hervorgegangen sein.

Für Christian Krähling hat die Veranstaltung am Wochenende wichtige Impulse gebracht. »Ein erster guter Schritt, denn eine solche Vernetzung hat es bisher nicht gegeben«, so sein Fazit.

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