Mit einer App Insekten auf der Spur
Ehrenamtliche Naturforscher zählen Schmetterlinge, Hummeln, Fliegen und Co.
Es summt und zwitschert im Wald. Bei wärmeren Temperaturen öffnen sich langsam Blätter und Blüten - was Insekten anzieht. Deren Zahl hat jedoch in den letzten Jahrzehnten stark nachgelassen: Um über 75 Prozent ging die Masse der Fluginsekten in deutschen Schutzgebieten einer Studie zufolge zurück. Maßgeblich zu den Forschungsergebnissen beigetragen haben ehrenamtliche Insektenkundler vom Entomologischen Verein Krefeld. Sie haben zwischen 1989 und 2016 Daten zu Insekten gesammelt. In 63 Gebieten in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und in Brandenburg fingen sie mit Hilfe von Fallen Fluginsekten und bestimmten deren Masse. Ihre Beobachtungen veröffentlichten sie im Oktober 2017 im Wissenschaftsjournal »PLOS ONE«.
Für Insektenforscher Matthias Nuß kommt es bei den Beobachtern nicht darauf an, ob Laie oder Experte. »Die Grundfrage muss sein: Mit welchen Methoden wird gearbeitet und sind die Ergebnisse nachvollziehbar«, sagt Nuß, der sich am Senckenberg Museum für Tierkunde in Dresden mit Schmetterlingen beschäftigt.
Auch der Naturschutzbund NABU will mithilfe von Hobbyforschern Daten über Insekten sammeln. Bei einer großen Aktion sollen Bürger in zwei Phasen Schmetterlinge, Hummeln, Fliegen und Co. zählen. Die erste Zählung soll am 1. Juni starten, eine zweite Runde ist am 3. August geplant. Dabei hofft der NABU auf ähnlich gute Ergebnisse wie bei seinen Vogelzählaktionen.
»Wir haben natürlich ein Interesse an den Daten, denn je mehr Leute mitmachen, desto aussagekräftiger sind sie«, sagt NABU-Mitarbeiterin Annette Schröter. Rund 130 000 Menschen hätten bei der letzten Aktion mitgemacht und ihre Vogelsichtungen über die Webseite gemeldet.
Die Wissenschaft profitiert davon: Ornithologen werten die über Jahre gesammelten Daten aus und können so Trends und Entwicklungen aus der Vogelwelt erkennen. Die Daten können dann als Belege dienen, um etwa für bestimmte Arten strengere Schutzbestimmungen einzufordern.
In vielen Bundesländern gibt es Portale, bei denen Bürger Beobachtungen melden können - über 80 sogenannte Citizen Science Projekte finden sich auf der Plattform buergerschaffenwissen.de, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Ob Insekten in Sachsen, Feldhasen in Berlin, Alpensteinböcke in Bayern oder Schweinswale an Elbe- und Weserstrand - überall können Naturfreunde entsprechende Daten sammeln.
Die Technik schaffe dafür neue Möglichkeiten, sagt Nuß. Das bedeute aber nicht, dass automatisch neue Zielgruppen für den Naturschutz gewonnen würden. »Kurz gesagt, bei Ü40 funktioniert es, bei U20 nicht.« Jüngere Menschen zu erreichen, sei schwierig. Dafür seien vielleicht andere pädagogische Konzepte nötig.
Mithilfe der Naturblick-App will das Museum für Naturkunde in Berlin an einem internationalen Städtewettbewerb teilnehmen, der City Nature Challenge. Vom 27. April an sollen Bürger in Berlin vier Tage lang ihre Naturbeobachtungen über die App melden. 60 Städte weltweit beteiligen sich an der Aktion - neben Berlin machen auch Prag, London, Rom oder Madrid mit. Danach wird verglichen, welche Stadt die meisten Arten gefunden, die meisten Beobachtungen gemacht hat und wo sich die meisten Menschen beteiligt haben.
»Der Vorteil von Citizen Science für die Wissenschaft besteht aus zwei Komponenten: Der großen Fläche und der hohen Artenzahl«, sagt Nuß. »Ohne die vielen Menschen, die es in ihrer Freizeit machen, könnten wir sie gar nicht zählen.«
Die Gründe für das Insektensterben konnten die Forscher bisher nicht abschließend klären. Naturschützer gehen von einem großen Einfluss einer zu intensiven Landwirtschaft mit hohem Pestizideinsatz aus. Der NABU fordert daher, ein bundesweites Monitoring einzuführen, um schnellstmöglich Wege zu finden, das Insektensterben zu beenden. dpa/nd
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