Scholz bleibt der Strippenzieher

Kaum ein Funktionär ist in der SPD-Basis so unbeliebt wie der Hamburger. Trotzdem ist er als Vizekanzler und Finanzminister nun einflussreicher als je zuvor

  • Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor dem Duell der beiden Frauen Andrea Nahles und Simone Lange um den SPD-Vorsitz prägten Männer die ersten anderthalb Stunden des Wiesbadener Sonderparteitags. So bemühte sich Parteivize Thorsten Schäfer-Gümbel, der bei der hessischen Landtagswahl im Oktober als Herausforderer von CDU-Regierungschef Volker Bouffier antritt, um Gewerkschaftsnähe und warb für Solidarität mit den um ihre Zukunft bangenden Opel-Beschäftigten.

Ranghöchster internationaler Gast der Sozialdemokraten war Pedro Sánchez, Generalsekretär der spanischen Schwesterpartei PSOE. Er hatte sich in einer Urabstimmung gegen den rechten PSOE-Flügel behauptet - ein Element der Basisdemokratie, das von der SPD-Spitze bei der Wahl der neuen Chefin nicht gewünscht war. Vor den SPD-Delegierten gab sich Sánchez staatstragend. So verteidigte er das harte Vorgehen der von seiner Partei tolerierten konservativen Madrider Zentralregierung gegen die Autonomiebewegung in Katalonien. »Dieser Sezessionismus bedroht die Einheit Spaniens und das europäische Projekt insgesamt«, meinte Sánchez. Klassische demokratische Forderungen, wie die nach einer Überwindung der spanischen Monarchie, fehlten in seiner Rede.

Frisch von der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) zurückgekehrt, begab sich Olaf Scholz am Sonntag in die Niederungen der Partei. Als kommissarischer Parteichef hatte er nach dem Abgang von Martin Schulz die Partei seit Februar geführt. Es sei »ein historischer Moment, wenn die älteste Partei heute eine Frau zur Vorsitzenden wählt«, so Scholz, der nur mäßigen Beifall bekam. Scholz verkörpert das Gegenteil dessen, was sich linke Sozialdemokraten unter »Erneuerung« der SPD vorstellen. Ende 2017 hatte der Hamburger mit 59,2 Prozent die geringste Zustimmung der Delegierten bei der Wahl der Vizechefs erhalten.

Eine solche Klatsche kann der gut vernetzte Scholz locker wegstecken. Er hat als Vizekanzler und Bundesfinanzminister die wohl höchste Stufe seiner politischen Karriere erreicht. Insider gehen davon aus, dass er weiter als Strippenzieher und heimlicher Chef fungiert und ohne sein Plazet in der Partei nichts laufen wird. »Wenn es gut läuft, wird er nächster Kanzlerkandidat, wenn nicht, schickt er Andrea vor«, so ein Delegierter gegenüber »nd«.

Als Chef der Antragskommission hatte Scholz den Empfehlungen seinen Stempel aufgedrückt. »Ablehnung« legte die Kommission den Delegierten bei allen Forderungen nach Unvereinbarkeit von Spitzenämtern in der Partei mit einem Parlamentsmandat oder Regierungsamt nahe. Die Parole »Parteivorsitz und Fraktionsvorsitz nicht in Personalunion« hatten etliche Ortsvereine ausgegeben. Chancenlos blieb auch ein Antrag aus Gadebusch in Mecklenburg-Vorpommern, der die Vorstandsmitglieder wegen »permanenter strategischer Fehlentscheidungen« seit der Bundestagswahl zum geschlossenen Rücktritt aufforderte, um so den Weg für einen »glaubwürdigen Neuanfang der SPD frei zu machen«.

Von den marxistischen Lippenbekenntnissen aus seinen Jahren als »Stamokap-Juso« ist der wirtschaftsnahe Scholz heute Lichtjahre entfernt. So hatte nach seinem Willen auch ein Antrag aus dem niedersächsischen Gifhorn keine Chance, der sich für eine Rekommunalisierung von privatisierten Betrieben aussprach. Es blieb beim unverbindlichen »Hinterfragen« von Privatisierungen im Leitantrag des Vorstands.

Als kurz vor Schluss des Parteitags ein Hauch von Rebellion durch den Saal wehte und ein Juso-Antrag gegen die »Politik der schwarzen Null«, gegen Hartz-IV-Sanktionen und für einen armutsfesten Mindestlohn von mehr als zwölf Euro viel Rückhalt fand, wehrte sich Scholz vehement dagegen. Ihm zur Hilfe eilte die rheinland-pfälzische Regierungschefin Malu Dreyer. »Wir müssen uns die Zeit für eine umfassende Sozialstaatsdebatte nehmen«, gab sie zu bedenken. Mit 225 zu 174 Stimmen stützten die Delegierten Scholz und ersparten damit dem Vorstand eine Abstimmungsniederlage.

Steve Hudson, Gründer des Vereins NoGroKo, trug im Saal ein T-Shirt mit der Aufschrift »Corbyn«. Kürzlich hatte er im Deutschlandfunk das Modell der britischen Labour Party zum Vorbild für die SPD erklärt. Die Partei erzielt mit dem einstigen Außenseiter Jeremy Corbyn an der Spitze doppelt so hohe Umfragewerte wie die SPD und ist mit einem Zustrom von Hunderttausenden von unten her aufgefrischt worden. »Corbyn wäre gerne gekommen«, so Hudson gegenüber »nd«. Eine Einladung an den Labour-Chef hatte die SPD-Führung allerdings nicht geplant, wie ein Parteisprecher dem »nd« bestätigte.

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