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Ein Sieg ohne Euphorie
Andrea Nahles wird als SPD-Chefin die Große Koalition unterstützen. Viele Delegierte sind davon nicht begeistert
Andrea Nahles sitzt inmitten von Genossinnen und Genossen, die sich zum Applaus erhoben haben. Sie selber bleibt sitzen. Soeben hat das Tagungspräsidium im Wiesbadener Rhein-Main-Congress-Center verkündet, dass Nahles mit gut 66 Prozent der Stimmen zur neuen SPD-Vorsitzenden gewählt worden ist. Die Gewählte selber nickt, ohne eine Miene zu verziehen. Begeisterung sieht anders aus. Im Parteivorstand hatte man auf ein Ergebnis von mindestens 75 Prozent gehofft. Dass Nahles dieses Ziel nicht erreicht hat, liegt auch an ihrer Gegenkandidatin Simone Lange. Die Flensburger Oberbürgermeisterin erhält rund 27,5 Prozent der Delegiertenstimmen.
Ihre Bewerbungsrede hat Nahles wenige Stunden zuvor am Sonntagmittag mit persönlichen Worten begonnen. »Mein Name ist Andrea Nahles, ich bin 47 Jahre alt und lebe mit meiner Tochter in der Eifel«, sagt sie. Nahles will sich nicht nur als Funktionärin vorstellen, die sich im Parteiapparat nach oben gearbeitet hat, sondern auch etwas über ihre Lebensgeschichte erzählen. Das tut sie prägnant mit einigen Stichwörtern: »Katholisch, Arbeiterkind, Mädchen, Land.« Dass sie trotzdem nun hier stehe, verdanke sie einem Bildungssystem, das Chancengleichheit hergestellt habe - und das verdanke sie wiederum der SPD, erklärt Nahles. Die Sozialdemokratin lässt auch durchblicken, dass sie es als Frau nicht leicht gehabt hat. Sie spricht von der oft zitierten »gläsernen Decke«, die viele Frauen beim beruflichen Aufstieg zu spüren bekommen. Bis vor kurzem haben hauptsächlich Männer in der SPD Karriere gemacht. Nahles ist die erste Frau an der Parteispitze.
Dann geht Nahles auf das Thema ein, das die meisten Menschen im Saal umtreibt. Es geht um die schwere Krise der SPD und die von der Parteispitze versprochene Erneuerung. Nahles will künftig genauer den Weg benennen, wie ihre Partei soziale Gerechtigkeit herstellen will. Das habe im Wahlprogramm des vergangenen Jahres gefehlt. Die Folge sei gewesen, dass viele Menschen der SPD nicht vertraut hätten. Letztlich erhielt die Partei bei der Bundestagswahl nur 20,5 Prozent der Stimmen.
Der Blick von Nahles fällt auf einige Herren in der ersten Reihe vor dem Podium. Hier sitzen die Vorsitzenden großer Gewerkschaften wie DGB-Chef Reiner Hoffmann und der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann. »Mit euch wollen wir ein neues Konzept einer solidarischen Marktwirtschaft und einen Ordnungsrahmen für die digitale Wirtschaft entwickeln«, kündigt Nahles an. Sie empört sich, dass viele »Arbeitnehmer« ohne Tarifvertrag beschäftigt seien. »Diese Arbeitnehmer brauchen einen starken Arm in der Politik. Das sind wir«, ruft Nahles, die vier Jahre lang als Arbeitsministerin in diesem Bereich nicht viel bewegt hat, in den Saal.
Trotz ihrer kämpferischen Rede, in der sie oft Begriffe wie »Solidarität« einfließen lässt und den Neoliberalismus geißelt, wird deutlich, dass Nahles in den kommenden Jahren die Politik der Großen Koalition tatkräftig unterstützen will. Sie lobt den schwarz-roten Koalitionsvertrag als »gut« und betont, dass sich die sozialdemokratischen Regierungsmitglieder »auf uns verlassen können«.
Dass Nahles sich für die Neuauflage der Großen Koalition eingesetzt hat, nehmen ihr nicht wenige linke Sozialdemokraten übel. Der Applaus nach ihrer Rede ist nicht frenetisch, sondern freundlich. Am Rande des Parteitags erklären Delegierte, dass sie für Nahles stimmen wollen, weil sie die erfahrenere Kandidatin sei. Einige Jusos sympathisieren hingegen im Unterschied zu ihrem Vorsitzenden Kevin Kühnert mit Simone Lange, weil sie sich eine personelle Erneuerung der SPD wünschen.
Ihre Favoritin schreitet in einem roten Kleid auf die Bühne. Die Farbe steht symbolisch für den Inhalt ihrer Bewerbungsrede. Den größten Applaus erhält die Flensburger Oberbürgermeisterin, als sie sich vom Generalsekretär Lars Klingbeil distanziert, der wenige Tage vor dem Parteitag in einem Interview mit dem »Tagesspiegel« gesagt hatte, dass ihn die Agenda-2010-Debatte langweile. »Über Hartz IV zu reden, ist keine Vergangenheitsdebatte«, erklärt Lange. Das sei vielmehr für Millionen Menschen hierzulande die Realität. Sie entschuldigt sich bei den Menschen, für welche die Agenda 2010 zu Armut geführt hat. Die Reparaturversuche, welche die SPD in den vergangenen Jahren an ihren eigenen Projekten vorgenommen hat, reichen aus ihrer Sicht nicht aus. »Jede Ausnahme beim Mindestlohn ist eine Verletzung des Solidaritätsgedankens, den wir propagieren«, kritisiert Lange. Allerdings bezieht sie sich in ihrer Rede fast nie direkt auf ihre Konkurrentin Nahles. Einmal weist Lange immerhin darauf hin, dass es nicht möglich sei, als Fraktionschefin Politik mit CDU und CSU zu machen und sich zugleich eigenständig zu profilieren.
Nachdem das Wahlergebnis bekannt gegeben wird, geht Lange noch einmal auf das Podium und äußert sich versöhnlich. Sie sagt Nahles ihre Unterstützung zu und betont die »Einheit der Partei«. Die neue SPD-Vorsitzende nimmt derweil Blumensträuße entgegen. Die Gratulanten stehen Schlange. Nahles wirkt nun etwas gelöster. Ihre Gegenkandidatin hat sie an diesem Tag weitgehend ignoriert.
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