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  • Richtungsstreit in der LINKEN

»Ich bin kein Polarisierer«

Jörg Schindler will LINKE-Bundesgeschäftsführer werden und ordnet sich nicht der Logik des Führungsstreits unter

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 6 Min.

Die Parteiführung hätte nichts dagegen, wenn Harald Wolf Bundesgeschäftsführer bleiben würde. Sie auch?

Harald Wolf hat einen sehr guten Job gemacht. Ich freue mich, dass er als Bundesschatzmeister weitermachen will. Inhaltlich sind wir nahe beieinander.

Jörg Schindler
Jörg Schindler will auf dem Parteitag im Juni Nachfolger von Harald Wolf als Bundesgeschäftsführer der Linkspartei werden. Wolf hatte das Amt Ende 2017 vorübergehend nach dem Rücktritt von Matthias Höhn übernommen. Der 46-jährige Schindler ist Rechtsanwalt für Arbeitsrecht in Berlin und Wittenberg, Stellvertretender Landesvorsitzender der LINKEN in Sachsen-Anhalt und Vorsitzender der Fraktion im Kreistag Wittenberg. Mit ihm sprach Uwe Kalbe. 

Aber eine Kampfkandidatur hatten Sie nicht im Auge; Sie sind also gefragt worden.

Harald Wolf hat es geschafft, integrierend zu wirken, eine Kampfkandidatur wäre schon deshalb nicht in Frage gekommen. Seine Tätigkeit hat Harald aber von Anfang an als kommissarisch beschrieben.

Eine gewisse Affinität für Berlin kann man erkennen. Dreimal haben Sie auch für den Bundestag kandidiert.

Das stimmt, Berlin finde ich nicht nur als Stadt spannend, sondern auch, weil ich in der Bundespolitik den Weg sehe, etwas zu verändern. Ich bin Kommunalpolitiker und in der Landespolitik aktiv, aber die größten Veränderungsmöglichkeiten liegen in der Bundespolitik.

Worin sehen Sie Ihre Möglichkeiten, wenn Sie gewählt werden?

Wir haben als Partei eine gute Entwicklung genommen. Doch wir stehen vor Veränderungen. Man kann das an den Eintritten vieler junger Menschen sehen. Krieg, Gewalt, soziale Spaltung treiben die Menschen um. Wir müssen diese Themen offensiv angehen. Die LINKE muss organisierendes Zentrum sein, einen Block der Solidarischen bilden. Dafür müssen wir noch mehr werden. Am Ende wollen wir in der Liga derer mitspielen, die Politik verändern können.

Im Osten hat die LINKE, anders als im Westen, mit Überalterung und sinkender Wählerunterstützung zu kämpfen. Was tun?

Im Osten kämpfen wir aber auch für Wahlergebnisse um die 20 Prozent, wir sind an drei Landesregierungen beteiligt, stellen einen Ministerpräsidenten. In Frankfurt/Oder hat René Wilke gerade die Oberbürgermeisterwahl gewonnen. Das zeigt, wir können Wahlen von links gewinnen, wenn wir entsprechende Bündnispartner haben. Wir stehen im Osten nicht vor dem Abgrund, sondern müssen unsere Tradition als Kümmererpartei modernisieren. Klar ist das eine Herausforderung, und mancher ältere Genosse kann das nicht mehr wie früher. Aber da müssen die jüngeren halt ran.

Welche Rolle spielt der kommende Parteitag? Abgesehen von der eigenen Kandidatur, erwarten Sie tiefe Einschnitte?

Ich wünsche mir, dass der Parteitag die offenen Fragen diskutiert. Aber vor allem wünsche ich mir, dass vom Parteitag das Signal ausgeht: Wir kämpfen für soziale Verbesserungen, gegen Rechts und gegen die Kriegsgefahr. Und zwar mit voller Kraft und gemeinsam.

Im vorliegenden Leitantrag steht kein Wort zu den drei Landesregierungen im Osten. Wie erklären Sie sich das?

Ich weiß, dass es darüber Debatten gibt. Für mich zählt nur, welchen Nutzen Regierungsbeteiligungen für die Menschen gebracht oder nicht gebracht haben. Eine solche Bewertung ist Aufgabe der Partei, und die sollte auch im Leitantrag stehen.

Die LINKE hat gegenwärtig mit einem Führungsstreit zu tun. Wissen Sie, worauf Sie sich einlassen?

Durchaus. Ich finde aber, dass es hier weniger um den Konflikt zwischen Personen geht, sondern um kontroverse politische Anschauungen. Ich finde übrigens auch, dass das »neue deutschland« diese Diskussionen nicht als Streit, womöglich als Zickenkrieg darstellen sollte, sondern über die politischen Hintergründe aufklären muss.

Von Lesern kriegt das »nd« oft Signale, dass der Streit in Berlin nervt, aber nicht wirklich nachvollziehbar sei. Geht Ihnen das auch so?

Das erleben viele so, weil der politische Streit oft als Streit zwischen zwei Personen um Eitelkeiten dargestellt wird. Da diskutieren wir, ob bestimmte Regularien auf EU-Ebene oder darunter, auf nationaler Basis, vernünftiger sind. Doch die Medien schreiben lieber über Zerwürfnisse von Personen.

Der Streit wird aber von den Akteuren selbst als Streit bezeichnet. Das ist keine Erfindung der Medien. Was hat der Bundesgeschäftsführer für eine Aufgabe, damit das aufhört?

Der Bundesgeschäftsführer hat die Programm- und Beschlusslage der Partei zu vertreten. Er führt die Geschäfte der Partei und nicht die von Personen. Es geht darum, dass die Partei zusammenbleibt, solidarisch ist. Immerhin entsendet die Partei ihre besten Leute in die Parlamente. Die Partei ist das Willensbildungszentrum. Wenn Einschätzungen verschieden sind, kann man das nur im Dialog klären. Der Bundesgeschäftsführer muss integrieren und den Dialog organisieren.

Als Mitautor des Entwurfs zu einem Einwanderungskonzept der LINKEN befinden Sie sich ja schon auf einer Seite der innerparteilichen Debatten.

Wir haben als Projektgruppe versucht, das Leitbild einer Einwanderungsgesellschaft zu entwerfen. Wir wollen damit nicht von Kritik verschont bleiben. Ich finde deshalb auch gut und richtig, wenn Sahra Wagenknecht sich kritisch äußert.

Sie sind ein Vertrauter Kippings, arbeiten mit ihr in der Zeitschrift »Prager Frühling«, im Institut für Solidarische Moderne. Die Parteiführung treibe mit Ihrer Kandidatur die Polarisierung voran, heißt es.

Wer mich kennt, weiß, dass ich kein Polarisierer bin. Wir sind alle nicht in der Lage zu behaupten, nie zu irren.

Die Auswahl von Führungspersonal enthält auch formale Aspekte. Sonst wären Quotendebatten sinnlos.

Ich habe mit Katja Kipping nicht nur Übereinstimmungen, sondern auch Differenzen. Zum Beispiel bin ich ein Gegner des bedingungslosen Grundeinkommens, für das sie kämpft. Aber ich komme gut mit Katja klar. Kontroversen müssen ja, wie gesagt, kein Grund für Zerwürfnisse sein.

Für wie zutreffend halten Sie den Vorwurf, es gebe eine Tendenz zunehmender Abgehobenheit in der LINKEN? Arbeitslose wenden sich ab, ist eine Begründung.

Den Vorwurf, wir hätten die soziale Lage der Menschen irgendwann geringgeschätzt, den muss man zurückweisen. In allen Wahlkämpfen, Papieren, Plakaten, politischen Positionierungen, Kampagnen steht die soziale Frage an erster Stelle. Was stimmt, ist, dass Teile des abgehängten Prekariats sich bei der letzten Wahl von uns abgewandt haben. Sie haben ihr Kreuz bei der AfD gemacht. Das kann aber nicht zu falscher Kumpelhaftigkeit führen. Wir müssen unsere politischen Positionen überzeugender darstellen, um Menschen zurückzugewinnen.

Der aktuelle Streit wird auch als Ausdruck eines Programmdefizits wahrgenommen. Braucht die LINKE ein neues Programm?

Im gültigen Erfurter Programm sind nach meiner Einschätzung 90 Prozent der aktuell wichtigen Fragen richtig beantwortet. Aber natürlich bleibt die Welt nicht stehen, neue Fragen kommen hinzu, werden dringlicher. Migration oder Digitalisierung sind Beispiele. Die Debatten darüber finden ja schon statt. Meine Erfahrung ist aber, dass Programmbeschlüsse am Ende solcher Diskussionen stehen, nicht an ihrem Anfang.

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