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Preis für innovativen Ausbeuter
Hunderte Amazon-Beschäftigte protestieren gegen Ehrung von Konzernchef Jeff Bezos
Schwarze Limousinen mit getönten Scheiben erreichen den Parkplatz des Kreuzberger Axel-Springer-Hochhauses. Absperrgitter und patrouillierende Polizisten mit Hunden lassen erahnen, dass es sich um hohen Besuch handelt. Der Amazon-Gründer und reichste Mann der Welt, Jeff Bezos, soll hier am Dienstagabend den »Axel-Springer-Award« für »visionäres Unternehmertum« erhalten. Für viele Mitarbeiter ein Affront.
Hunderte Beschäftigte, darunter Streikende aus sechs Standorten, und ihre Unterstützer protestieren lautstark vor dem Hochhaus. Sie sind aus verschiedenen Städten Deutschlands gekommen, aber auch aus Italien, Polen und Spanien. Bereits am Nachmittag waren sie mit einer Demonstration vom Oranienplatz zur Springer-Zentrale gezogen. Vor der Bühne wird getrommelt und gepfiffen, ein wütend blickender Roboter aus Pappe reckt die Faust. Ver.di-Westen und Fahnen verschiedener internationaler Basisgewerkschaften prägen das Bild.
»Wir sind für Amazon nur ein Kostenfaktor«, sagt Michael, der gerade seinen zweiten Streiktag hat. »Unsere Chefs erhalten Bonuszahlungen, doch uns hält man klein.« In Anspielung auf die Unternehmenspraxis der als einschüchternd empfundenen Feedbackgespräche wollen diesmal die Mitarbeiter dem Konzernchef mitteilen, was sie von ihm halten. »Du verdankst deinen Erfolg den Beschäftigten und doch behandelst du uns wie Fabrikarbeiter im 19. Jahrhundert«, liest ein Streikender vor. Die »Feedbackbögen« werden in einen Umschlag gesteckt und sollen später Bezos übergeben werden.
Ver.di fordert für die Amazon-Beschäftigten schon seit 2013 einen Tarifvertrag nach den Konditionen des Einzel- und Versandhandels. Der Konzern verweigert jedoch bis heute die Gespräche. Ver.di-Chef Frank Bsirske verspricht auf der Bühne, weiter Druck zu machen: »Wir werden solange keine Ruhe geben, bis wir einen Tarifvertrag durchsetzen, der uns ein anständiges Leben ermöglicht.« Bsirske berichtet auch von Beispielen aus dem stressigen Arbeitsalltag: Demnach hat ein Beschäftigter eine Abmahnung erhalten, weil er »in fünf Minuten zwei mal inaktiv war«.
Auch mehrere Politiker solidarisieren sich mit den Beschäftigten. »Für diese Unternehmenspolitik darf man keinen Preis bekommen, dafür muss man bestraft werden«, sagt der LINKE-Kovorsitzende Bernd Riexinger. Neben der Notwendigkeit eines Tarifvertrages fordert der ehemalige Gewerkschafter den Kampf gegen Befristungen. »Menschen trauen sich unter diesen Bedingungen nicht zu streiken.« Der gewerkschaftspolitische Sprecher der Linksfraktion, Pascal Meiser, bezeichnet die Auszeichnung als zynisch: »Die Geschäftserfolge von Amazon gründen sich auf Lohndumping, permanente Kontrolle am Arbeitsplatz und Steuerflucht.«
Der Auftritt von SPD-Chefin Andrea Nahles sorgt kurz für Tumult. Die Politikerin kritisiert Bezos als »Weltmeister im Steuervermeiden«, ist aber kaum zu verstehen. Von der Menge hagelt es »Hau ab«-Rufe, offenbar halten nicht alle ihren Einsatz für Arbeitnehmer für glaubwürdig.
Hamid Mohseni von der Kampagne »Make Amazon Pay« kritisiert das Geschäftsmodell des Online-Händlers: »Es geht uns nicht nur um ein besseres Gehalt, sondern um die Beseitigung der Bedingungen, die sich aus der Verdichtung der Arbeit und der Analyse von Daten ergeben.« Dies geschehe nicht nur in dem Konzern, sondern auch bei Verbrauchern. »Amazon betrifft uns alle.« Die meisten Sprecher betonen, wie wichtig die internationale Vernetzung ist, um Amazon in die Knie zu zwingen.
Bezos wies am Abend die Kritik zurück. »Ich bin stolz auf unsere Arbeitsbedingungen und die Gehälter, die wir zahlen«, so der Amazon-Chef. Er glaube nicht, dass eine Gewerkschaft als Mittelsmann zwischen Konzern und Beschäftigten nötig sei.
Dass die Vorwürfe der Steuervermeidung nicht aus der Luft gegriffen sind, zeigt eine neue Studie der Otto-Brenner-Stiftung. Ein Großteil der europäischen Gewinne fließe demnach in eine luxemburgische Gesellschaft, die bis 2016 eine Briefkastenfirma gewesen ist. Nach Schätzungen des Autors Christoph Trautvetter müsste Amazon in Deutschland rund 200 Millionen Euro Steuern zahlen, bisher würden jedoch nur maximal 50 Millionen ins Land fließen. Attac, das sich auch an dem Protest beteiligte, fordert eine Gesamtkonzernsteuer, bei der Gewinne den jeweiligen Staaten zugeordnet werden können.
»Das Geschäftsmodell von Amazon basiert auf dem Sammeln kostenloser Nutzerdaten und der systematischen Steuervermeidung«, sagte der Attac-Steuerexperte Karl-Martin Hentschel bei der Präsentation der Studie. »Dafür einen Preis zu verleihen, geht zu weit.«
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